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Du stirbst zuerst

Du stirbst zuerst

Titel: Du stirbst zuerst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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Tatsache, dass niemand Ihnen irgendetwas glaubt, ganz egal, was Sie sagen. Das kann einen verrückt machen, aber es ist auch berechenbar, und wenn man es sich ausrechnen kann, dann kann man es zum eigenen Vorteil nutzen. Hier hat man keinerlei Maßnahmen ergriffen, um sich vor den Gesichtslosen zu schützen, weil man mich für verrückt hält. Dieser Mangel an Vorsicht bedeutet, dass die Sicherheitsmaßnahmen löchrig sind. Wenn ich die Löcher finde, kann ich sie nutzen, und am besten kann ich sie entdecken, indem ich rückwärts denke. Wie kommen die Gesichtslosen herein? Wenn ich ihre Schritte zurückverfolgen kann, dann kann ich durch das gleiche Loch fliehen und für immer verschwinden.
    Devon führt mich durch den großen Gemeinschaftsraum, das Herzstück der geschlossenen Abteilung von Powell. Die Längswand hat Fenster, die etwas größer sind als ich. Sie sind mit altem, lackiertem Metall gerahmt und mit Eisengittern gesichert. Draußen sieht man lediglich ein weiteres Gebäude, bei dem es sich vermutlich um einen Seitenflügel der Klinik handelt. Die Schatten auf dem Boden wandern von links nach rechts, also bewegt sich die Sonne von rechts nach links. Das Fenster blickt daher nach Norden. Diese Information ist nicht nützlich, trotzdem fühle ich mich besser, nachdem ich etwas herausgefunden habe.
    Im Aufenthaltsraum stehen viele Tische. Es sind lange Tische wie in einer Cafeteria mit einfachen Metallstühlen. Hier nehmen die Patienten ihre Mahlzeiten ein, spielen Puzzle oder tappen geistlos durch die Gänge. Winzige, schlurfende Schritte in ausgetretenen Pantoffeln. Ich halte mich von den Patienten fern. Am westlichen Ende liegen Teppiche, dort stehen Sofas und Polstersessel vor einem großen, in der Wand verschraubten Fernseher. Auch diesen Bereich meide ich.
    In der Südwand führen Türen zu den Krankenzimmern, dort zweigen Flure nach Osten und Westen ab. Der östliche Gang führt zu weiteren Krankenzimmern und verzweigt sich abermals, weil dort sogar noch mehr Zimmer liegen. Außerdem befinden sich dort die Toiletten und die große Gemeinschaftsdusche. Der westliche Gang ist viel kürzer. Nach ein paar Schritten erreicht man das Stationszimmer, dessen Tür offen steht. Daneben ist in Brusthöhe ein Fenster eingelassen, und gleich dort befindet sich auch die metallene Pforte, die uns den Zugang zum Rest der Welt versperrt. Aus der Ferne betrachte ich sie und beobachte das elektronische Zahlenschloss, mit dem sie gesichert ist, wage mich aber nicht näher heran. Durch das Flurfenster des Stationszimmers ist ein Computer zu erkennen, dem ich nicht zu nahe kommen darf.
    Devon will mich zu meinem Zimmer führen. Noch bevor wir den Gemeinschaftsraum verlassen haben, kommt uns ein Patient eilig entgegen und hält uns auf.
    »Hallo, Steve«, sagt Devon.
    »Ist das der Neue?« Steve ist recht groß und sehr dünn, er hat einen zottigen schwarzen Bart und trägt eine hellrote Baseballmütze verkehrt herum auf dem Kopf. »Wie heißt du?«
    »Michael«, sage ich.
    »Bist du gerade reingekommen? Oder gerade raus?« Er schlägt die Knöchel der Hände mehrmals gegeneinander wie jemand, der sich gegen Handschellen sträubt. Ich nicke unverbindlich. »Wohin stecken Sie ihn, Devon? Sie können ihn doch nicht in Jerrys Zimmer legen.«
    »Jerry hat kein Zimmer mehr.« Devon geht ruhig weiter. »Schon vergessen? Jerry durfte nach Hause gehen.«
    »Aber er hat doch immer noch ein Zimmer hier«, widerspricht Steve. »Es gefällt ihm bestimmt nicht, wenn Sie es einem anderen geben, oder? Das gefällt ihm bestimmt nicht.«
    Devon lächelt. »Wir haben sein Zimmer bereits Gordon gegeben.« Steve runzelt die Stirn.
    »Gordon? Wer ist Gordon?«
    »Sie kennen doch Gordon, Steve«, sagt Devon. »Dieses Gespräch führen wir mindestens einmal in der Woche.«
    »Und dem haben Sie Jerrys Zimmer gegeben?«
    »Schon vor zwei Monaten.«
    »Gordon!«, ruft Steve und macht auf dem Absatz kehrt. Dann hält er inne und sieht sich im Aufenthaltsraum um, schließlich eilt er davon. »Gordon, komm her!«
    Devon kichert. »Jerry wurde bereits im Februar entlassen, aber das will einfach nicht in seinen Schädel hin­ein.«
    »Ist Steve wirklich schon so lange hier?«
    »Fünf Monate«, erklärt Devon. »Aber keine Sorge, die meisten Patienten sind viel schneller wieder draußen.«
    Ich nicke. »Muss ich sonst noch etwas wissen?«
    Devon sieht sich um. »Im Grunde läuft es hier ziemlich gemütlich. Der Kahlkopf dort drüben ist Dwight. Wenn er

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