Du und ich und all die Jahre (German Edition)
der entscheidende Punkt bei meinem Plan: Um Annie zu überreden dabeizubleiben, will ich ihr klarmachen, dass sie mit ihrem Schicksal nicht alleine ist. Ich weiß tatsächlich, was sie durchmacht. Ich war in der gleichen Lage und habe es überlebt. Ich weiß, wie man mit heiler Haut aus dieser Situation wieder herauskommt, mit intakter Ehe und Würde.
«Vor ein paar Jahren. Okay, es war nicht genau so wie bei Ihnen, aber er hatte eine Affäre. Mit einer meiner Freundinnen. Einer guten Freundin, mit meiner besten Freundin.»
«Das tut mir leid», sagt sie betroffen. «Das tut mir so leid.»
«Es war furchtbar und hat unglaublich weh getan.»
«Haben Sie ihn verlassen?»
«Nein.» Ich trinke einen Schluck von meinem Wein. «Aber ich habe darüber nachgedacht. Sehr lange. Wir haben uns sogar eine Weile getrennt. Doch ich liebe ihn und weiß, dass er mich liebt. Er hat einen Fehler gemacht, einen schrecklichen Fehler, und den bereut er zutiefst. Wir waren bei einer Paartherapie, mehrere Monate, und haben alles aufgearbeitet. Am Ende konnten wir wieder zusammenleben, konnten uns wieder nah sein …»
Annie mustert mich prüfend. «Und Sie haben ihm verziehen? Sie haben ihm wirklich verziehen?»
«Ja, das habe ich.»
«Ich fürchte mich davor», sagt sie und starrt dabei kummervoll in ihr Weinglas. «Jedes Mal, wenn wir uns streiten, jedes Mal, wenn irgendetwas schiefläuft …»
«Dass Sie es ihm dann wieder unter die Nase reiben? Seine Affäre, seinen Betrug?»
«Genau das. Ich fürchte, dass wir nie darüber hinwegkommen. Oder zumindest dass ich nie darüber hinwegkomme.»
Dies ist der entscheidende Moment. Jetzt kommt es darauf an. «Genau deswegen sollten Sie in die Sendung kommen, Annie.»
Sie schüttelt wieder den Kopf.
«Es ist mein voller Ernst. Genau dabei wird Ihnen die Therapie eine unschätzbare Hilfe sein. Wir stellen Ihnen keine gemeinen und geschmacklosen Fragen, sondern wollen Sie – und Ihren Mann und Ihre Schwester – dazu ermutigen, wirklich über Ihre Gefühle zu sprechen, damit Sie alle lernen, mit dem schlechten Gewissen und den wechselseitigen Schuldzuweisungen umzugehen. Sie bekommen Gelegenheit, den anderen beiden zu sagen, was Sie wirklich empfinden, welche Gefühle sie in Ihnen ausgelöst haben. Und ich hoffe, dass Sie einen Weg finden, so wie mein Mann und ich, das alles hinter sich zu lassen und Ihr Leben weiterzuführen.» Sie hört mir aufmerksam zu, ich sehe förmlich, wie ihr Widerstand schwächer wird, sie ist mir ins Netz gegangen. Ich spiele meine Trumpfkarte. «Ich weiß, wie sich Betrug anfühlt, Annie, und ich bin mir sicher, dass es Ihnen helfen wird, mit uns an der Sendung zu arbeiten. Außerdem wird sie anderen helfen, die in der gleichen Situation sind wie Sie.»
Sie schaut erst auf das Tischtuch und hebt dann den Kopf. In ihren Augen erkenne ich einen Schimmer Hoffnung. Und ich hasse mich dafür.
Wir trinken unseren Kaffee aus, und ich zahle.
«Vielen Dank für das Gespräch, Annie», sage ich, als wir in den schwachen Nachmittagssonnenschein hinaustreten. «Ich weiß es sehr zu schätzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.»
Ich will sie schon fragen, ob wir das Interview nicht sofort machen können, aber ich halte mich zurück. Stattdessen schüttele ich ihr zum Abschied die Hand und lächle betont herzlich. Dann hetze ich St Giles entlang in Richtung Innenstadt.
Ich bin noch nicht weit gekommen, als sie mir hinterherruft: «Nicole! Was ist mit Ihrer Freundin passiert?»
«Wie bitte?»
«Ihre Freundin? Sie haben gesagt, Ihr Mann hatte eine Affäre mit Ihrer besten Freundin?»
«Ja, richtig. Mit Alex.»
«Haben Sie ihr auch verziehen?»
«Ja, habe ich. Es hat eine Weile gedauert. Irgendwie kam mir ihr Betrug schlimmer vor als seiner. Ich will damit sagen, dass man von Männern doch irgendwie nichts anderes erwartet, oder? Von seinen Freundinnen aber schon.»
«Und der eigenen Schwester.»
«Genau.»
«Aber Sie kommen wieder miteinander klar, Sie und Ihre Freundin?»
«Wir verstehen uns gut», lüge ich.
Sie lächelt und umarmt mich unerwarteter Weise. «Danke, dass Sie mit mir darüber gesprochen haben, Nicole. Ich schreibe Ihrer Assistentin eine E-Mail, um einen Termin für das Interview morgen zu vereinbaren.»
«Sie machen es also?», frage ich etwas ungläubig.
«Ich mache es.»
Die widersprüchlichsten Gefühle kämpfen in mir, während ich Annie dabei zusehe, wie sie die Little Clarendon Street hinuntergeht. Ich bin zufrieden,
Weitere Kostenlose Bücher