Du und ich und all die Jahre (German Edition)
Angst und Enttäuschung. Aber auch Mitleid. Gott, muss er einsam sein.
Ich bringe den Tee ins Wohnzimmer. Dad hat den Fernseher eingeschaltet und sieht sich die Sportnachrichten auf Sky an, der Ton ist voll aufgedreht. Er nimmt wortlos eine Tasse Tee entgegen, trinkt ein paar Schlucke und ignoriert mich.
«Du wirst am Zweiten operiert, sagtest du? In Malvern?»
Keine Antwort.
«Dad? Könnten wir den Fernseher etwas leiser stellen?»
Er macht das Gerät aufgebracht aus. «Ich wollte mir nur die Ergebnisse ansehen.»
«Ich sagte lediglich etwas von leiser.»
«Zu spät.» Er presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Ich hätte große Lust, ihm eine zu scheuern.
«Ich habe nach deiner Operation gefragt. Gehst du ins Krankenhaus von Malvern?»
«Gloucester.»
«Brauchst du jemanden, der dich hinfährt? Wie lange musst du dort bleiben?»
«Onkel Chris bringt mich hin. Ich muss wohl nur ein paar Tage bleiben, aber bei unserem Gesundheitssystem weiß man ja nie. Wahrscheinlich bekomme ich eine Lungenentzündung. Kriegen viele im Krankenhaus.»
Man muss immer das Positive sehen.
Wir sitzen da und trinken schweigend unseren Tee. Dad stellt den Fernseher wieder an, diesmal ohne Ton. Er flucht leise, als er die Fußballergebnisse sieht.
«Hattest du gewettet?», frage ich.
«Nur einen Zehner.» Er schaut seine Hände an, ballt die Fäuste und öffnet sie wieder. An diese Geste kann ich mich noch erinnern, und in mir steigt eine neue Welle der Übelkeit auf.
«Wie wäre es, wenn wir etwas zu essen bestellen? Hast du eine Speisekarte hier?»
Er lässt den Kopf in den Nacken sinken. «In der Küche, zweite Schublade.»
Ich schlage Pizza vor, aber er will lieber Chinesisch, also esse ich zum zweiten Mal hintereinander knusprige Ente und Sojasprossen aus dem Wok, nur ist die Ente versalzen, und die Sprossen sind trocken. Dad scheint das nicht zu kümmern, er schlingt sein Essen hinunter.
«Freut mich, dass du Appetit hast, obwohl es dir nicht gutgeht», sage ich.
«Na ja, so was esse ich nicht oft. Zu teuer. Ist was Besonderes», sagt er und lächelt beinahe.
Nach dem Essen trinken wir unser Tsingtao-Bier (bei jeder Bestellung im Wert von über fünfzehn Pfund gibt es zwei dazu) und ich nehme schließlich allen Mut zusammen, um ihn zu fragen, was ich hier soll.
«Dad, in deiner Mail hast du geschrieben, dass du mit mir über einige Dinge sprechen willst …»
Er murmelt etwas, das ich nicht verstehe, und sieht mich dabei nicht an. «Komm schon», sage ich und tue, als würde ich nicht merken, wie verlegen er ist. «Worum geht es? Jetzt bin ich hier.»
«Ich war ein bisschen deprimiert, als ich das geschrieben habe», sagt er. «Wäre wirklich nicht nötig gewesen, dass du herkommst.»
«Wie dem auch sei, ich bin trotzdem froh, dass ich gekommen bin. Es ist schön, dich zu sehen.» Lügnerin.
Dad trinkt den Rest von seinem Bier in einem Zug aus und stellt die Flasche auf den Tisch. «Also, wie geht es Dominic?»
«Gut, er arbeitet viel, wie immer.»
«Schön. Das ist schön zu hören. Keine Kinder in Sicht?»
Ich lache nervös. «Nein, noch nicht.»
«Wäre es nicht langsam Zeit?»
«Uns bleibt dafür genug Zeit», sage ich.
«Ach ja? Wirklich? Es ist immer später, als man denkt.»
«Möchtest du mehr Tee, Dad?», frage ich, um diese Unterhaltung zu beenden, die vom Belanglosen plötzlich ins Düstere umgeschlagen ist.
«Wie geht es deiner Mutter?», will er wissen, ohne meine Frage zu beantworten.
«Ihr geht es gut», sage ich und stehe auf, um die Überreste des Essens zu beseitigen.
«Ist sie Weihnachten bei dir gewesen?»
«Nein, dieses Jahr nicht.»
«Wo ist sie denn?»
«Sie macht Urlaub. In Costa Rica.»
Ein hässliches Grinsen. «Wer’s mag. Ist sie noch immer mit diesem Kerl zusammen? Wie heißt er doch gleich?»
Charles. Das weiß er ganz genau, und er weiß auch ganz genau, dass sie noch immer zusammen sind. Das Thema werde ich nicht mit ihm diskutieren: Worauf das hinausläuft, ist klar. Er wird sich bei mir darüber beschweren, wie schlecht Mom ihn behandelt hat, behaupten, dass sie ihn mit Charles betrogen hat. Er dreht sich die Geschichte so hin, dass ihn selbst absolut keine Schuld trifft. Wir haben diese Unterhaltung früher oft genug geführt, und plötzlich bin ich wütend auf mich selbst, weil ich hergekommen bin: Wie konnte ich glauben, dass es dieses Mal anders läuft?
Jetzt balle ich die Fäuste und bohre mir die Fingernägel in die Handflächen. Ich darf
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