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Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Du und ich und all die Jahre (German Edition)

Titel: Du und ich und all die Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Silver
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vor meiner Hochzeit. Das ist über drei Jahre her. Er war zum Essen da, bekam betrunken einen Wutanfall und verschwand kurz darauf. Das große Ereignis selbst musste dann ohne ihn stattfinden.
    Bei unserer Geschichte ist ein Überraschungsbesuch eher keine gute Idee, aber irgendwie bringe ich es auch nicht über mich, ihn anzurufen. Außerdem ist mein Handy abgestellt, weil ich Doms wütende Nachrichten nicht hören und seine SMS nicht lesen will. Als ich in Ledbury eintreffe, bin ich mir nicht einmal sicher, wie ich zum Haus meines Vaters komme, so lange ist es her, dass ich ihn besucht habe. Wie sich herausstellt, habe ich den Weg wirklich vergessen, deshalb kurve ich eine Dreiviertelstunde lang durch die Gegend. Endlich entdecke ich The Castle, den furchtbaren Pub, in dem er Stammgast ist und der nur eine Straßenecke von seiner Wohnung entfernt liegt.
    Es ist kurz nach sechs, als ich den asphaltierten Weg zur Haustür hinaufgehe. Meine Hände zittern. Mein Mund fühlt sich pelzig an – ich habe auf dem Weg hierher sechs Zigaretten geraucht und kein Pfefferminz dabei. Ich klingle. Keine Reaktion, eine Woge der Erleichterung durchströmt mich. Besser hätte es gar nicht laufen können! Ich habe versucht, ihn zu besuchen, aber er war nicht da – nicht meine Schuld! Ich kann ohne schlechtes Gewissen nach New York fliegen. Schnell drehe ich mich um und mache mich auf den Rückweg, dieses Mal mit leichten Schritten. Doch gerade als ich die Gartenpforte öffnen will, höre ich, wie jemand hinter mir an die Haustür kommt, und mein Herz rutscht mir in die Hose.
    «Nicole?»
    Ich drehe mich um. Da steht er. Hager, grau und leicht gebeugt, ungefähr um hundert Jahre gealtert.
    «Du bist ja zu Hause», sage ich. «Ich dachte, es ist niemand da.»
    «Du hättest vorher anrufen sollen», sagt er, dreht sich um und ruft über die Schulter, dass ich reinkommen soll. Kein Kuss, keine Umarmung, kein tränenreiches Wiedersehen. Einen Augenblick bleibe ich an der Pforte stehen, ich bin versucht, einfach wieder ins Auto zu steigen und, so schnell wie mein Honda Civic kann, nach London zu fahren, zum Abendessen mit meinem Mann und meinen Freunden.
    «Ich habe kein Geld zu verschenken», höre ich meinen Vater sagen. «Es ist draußen eiskalt, und ich kann nicht den ganzen Tag die Heizung bis zum Anschlag aufdrehen. Beeil dich und mach die Tür zu.»
    Als ich über die Schwelle und auf den hässlichen orangefarbenen Teppich trete, kann ich hören, wie er vor sich hin murmelt: «Lässt die Tür eine halbe Stunde lang offen, und das, wo ich krank bin.»
    Er steht vor der elektrischen Heizung im Wohnzimmer und reibt die Hände aneinander, seine schmutzige graue Jogginghose hängt schlaff auf seinen knochigen Hüften.
    «Du hast abgenommen, Dad», sage ich.
    «Ja, natürlich, ist der Krebs.» Er dreht sich um und sieht mich an. «Ich wusste nicht, dass du kommst. Du hättest meine E-Mail beantworten können. Ich habe nichts fürs Abendessen im Haus.»
    «Wir können was bestellen», schlage ich vor.
    «Du schmeißt wirklich das Geld zum Fenster raus.»
    «Oder ich könnte dich zum Essen einladen.»
    Dad setzt sich in den Sessel neben der Heizung. «Es gibt hier kein ordentliches Restaurant mehr.»
    Ich ziehe meinen Mantel aus und setze mich auf das braune, mit Velours bezogene Sofa. Das Zimmer ist unvorstellbar hässlich, es sieht aus, als sei es 1978 von jemandem eingerichtet worden, der über keinerlei Geschmack verfügte. Alles ist braun oder schmutzig orange. Keine Bücher, keine Bilder an den Wänden, nur ein riesiger Flachbildfernseher in der Ecke.
    «Wie geht es dir, Dad?»
    «Ziemlich beschissen.»
    «Tut mir wirklich leid. Wann hast du … wann haben sie es festgestellt?»
    «Vor etwa einem Monat. Aber es geht mir schon seit einiger Zeit nicht gut.»
    «Du hättest mir Bescheid sagen müssen.»
    «Und was genau hätte ich dir sagen sollen? Dass ich mich nicht gut fühle? Davon wird es auch nicht besser.» Er entfernt einen unsichtbaren Fussel von seiner Jogginghose.
    «Soll ich uns einen Tee machen?», schlage ich vor, ich brauche jetzt dringend Abstand zu ihm, und wenn es nur ein paar Meter sind.
    «Na gut.»
    Während ich in der Küche darauf warte, dass das Wasser kocht, ist mir zum Heulen zumute, hauptsächlich vor Frustration. Warum ist er so? Warum kann er sich nicht ein bisschen Mühe geben? Mir wird seltsam übel, ein Gefühl aus einer längst vergangenen Zeit, an das ich mich aus meiner Kindheit gut erinnern kann.

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