Du und ich und all die Jahre (German Edition)
einfach so davonkommen zu lassen? Glaubst du, es reicht, sich bei den Familien der Opfer zu entschuldigen und dann abzuhauen?»
«Das ist doch nicht der Punkt …»
«Ich weiß, ich weiß. Ich habe nur schon so viele Länder auf der Welt mit einer dunklen Vergangenheit gesehen und glaube nicht daran, dass sich die Probleme hier mit einer Kommission lösen lassen.»
«Ist das nicht ein bisschen zynisch?» Da war es wieder – dieses arrogante Lächeln! «Ich bin nicht naiv», begann ich, aber er verschloss mir den Mund mit einem Kuss.
Später fragte ich ihn, was er damit gemeint hatte, dass er schon in so vielen Ländern mit dunkler Vergangenheit gewesen sei.
«Ich war schon überall.»
«Ja? Wo überall?»
«Ich habe die halbe Welt bereist und lange versucht, als Zeitungsjournalist Fuß zu fassen, aber da gab es ein paar Probleme. Erstens habe ich keinen Hochschulabschluss, und zweitens kann ich nicht schreiben. Schließlich entschied ich mich, hinter die Kamera zu wechseln. Ich habe eine Weile in Südostasien gearbeitet – und meistens nur alberne Hippies im Urlaub gefilmt. Das war verdammt öde, ich wollte etwas Richtiges machen. Deshalb bin ich dann nach Liberia, als dort der Bürgerkrieg ausgebrochen ist.»
«Oh Gott.»
«Ja, ein wirklich entzückendes Fleckchen.» Er drückte seine Zigarette aus und zündete sich gleich die nächste an. «Du würdest mir nicht glauben, wenn ich dir erzählte, was Menschen einander antun können.» Er schaute aufs Meer. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Ich nahm seinen Arm, aber er schüttelte den Kopf, wie um eine schmerzliche Erinnerung zu vertreiben. «Da habe ich richtig gutes Material gedreht. In Liberia. Ich bin noch in ein paar anderen Ländern gewesen, wo sich nicht allzu viele Journalisten tummelten, deshalb sind einige meiner Sachen von der BBC und CNN und solchen Leuten übernommen worden. Seitdem kann ich mich nicht mehr über zu wenige Aufträge beschweren. Ich war 1994 in Ruanda, 1995 in Kroatien, dieses Jahr in Tschetschenien. Letztes Jahr muss ich ja jetzt sagen …»
Ich war schwer beeindruckt. «Mein Gott, das muss so aufregend sein. So unglaublich, das alles von nahem zu sehen, da zu sein, die Geschichte zu erzählen …»
Er lachte. «Das ist es auch, jedenfalls wenn deine Vorstellung von Aufregung beinhaltet, dass dir ein paar durchgeknallte Milizionäre mit dem Gewehrkolben die Zähne ausschlagen.» Er entblößte seine Schneidezähne und zeigte auf die oberen zwei. «Implantate. Oder wenn du gerne aus einem brennenden Fahrzeug kriechst, während ein Serbe dein Auto mit Kugeln durchlöchert und deinem Fahrer schon den Kopf weggeschossen hat. Alles sehr aufregend.» Er zuckte mit den Schultern. «Ist nicht jedermanns Sache. Aber ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen. Ich glaube, es gibt sonst nichts, was ich kann.» Als er das sagte, dachte ich nur, dass ich genau so etwas auch gern könnte.
Eine Weile saßen wir da und schauten zu, wie der Horizont sich allmählich grau färbte, ein Vorbote der Morgendämmerung. Den Champagner hatten wir ausgetrunken.
Schließlich sah Aidan mich an und sagte: «Ich würde dich jetzt gern mitnehmen. Ins Hotel.» Mein Herz klopfte so laut, dass ich Angst bekam, er würde es vielleicht hören. «Kommst du mit?»
Ich hätte gern ja gesagt, wollte mit ihm zusammen sein, aber es ging nicht. Ich konnte nicht einfach abhauen und Alex allein lassen. Und vor allem konnte ich nicht mit einem Mann auf sein Hotelzimmer gehen, den ich kaum kannte. Oder vielleicht doch?
«Aidan, das geht nicht … Alex wartet auf mich …»
«Schon in Ordnung», sagte er und strich mir übers Haar. «Ich hatte eigentlich auch nicht damit gerechnet, dass du der Typ bist, der gleich beim ersten Treffen loslegt.» Er stand auf und half mir auf die Füße.
«Aber du hast darüber nachgedacht?», fragte ich ihn mit einem Lächeln.
«Natürlich habe ich darüber nachgedacht.» Er legte mir den Arm um die Schultern, und wir stiegen zusammen die Düne hinunter. «Nach der Party, Julians Achtzehntem, als ich dich nach Hause gefahren habe … an dem Abend, als du zu mir gesagt hast, ich sähe gut aus für einen alten Mann. Mann, habe ich gedacht, die ist unglaublich süß.»
«Süß?»
«Na ja, süß, sexy, schön auf vollkommen selbstvergessene Weise …»
«Mehr, mehr!»
«Das habe ich dann auch zu Jules gesagt, und er ist komplett durchgedreht.»
«Das hat er mir nie erzählt.»
«Absolut, er ist richtiggehend auf
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