Du und ich und all die Jahre (German Edition)
die beiden hatten ein umgebautes Lagerhaus gleich um die Ecke vom Borough Market gekauft. Das Haus bot sogar einen Blick auf die Themse. Na ja, zumindest konnte man den Blick auf die Themse erahnen. Alles in allem der letzte Schrei urbanen Industrial-Chics. Es gab sogar einen Aufzug.
«Ist fast so, als würde man in Manhattan leben», sagte Alex, als sie uns in der Wohnung der beiden begrüßte.
«Das war genau mein Hintergedanke dabei», verkündete Karl. «Wenn ich Julian schon nicht überreden kann, nach New York zu ziehen, dann kann ich jetzt wenigstens so tun, als ob.» Karl drängte schon seit Jahren auf einen Umzug nach Manhattan; aber Julian, der als Teenager immer von New York geträumt hatte, weigerte sich, in einem Land zu leben, das von George W. Bush regiert wurde.
«Und Tony Blair ist so viel besser?», spottete Karl dann immer.
Wir saßen auf der Reproduktion eines Corbusier-Sofas mitten im riesigen Wohnzimmer und tranken Champagner. («Das ist kein Wohnzimmer», erklärte mir Julian mit einem ironischen Lächeln. «Das ist ein Lebensbereich. Es gibt keine Zimmer in dieser Wohnung. Oh nein! Nur Lebensbereiche.») Ich kannte Dom erst seit ein paar Monaten. Er setzte sich stocksteif neben mich auf die Kante des Sofas. Alex beobachtete ihn amüsiert und tauschte hin und wieder einen vielsagenden Blick mit Julian aus. Ich wusste, was die beiden dachten. Jedenfalls konnte ich es mir denken. Sie checkten den Neuen ab, sein hellblondes Haar und die blasse Haut, seine sorgsam gebügelten Khakihosen und den GAP-Pullover (Mode war nicht so Doms Ding). Und sie verglichen meinen eher zurückhaltenden neuen Freund mit … Zumindest stellte ich mir das so vor.
«Also, Jules, wohin geht denn die Reise diesmal?», fragte ich schnell, um die beiden davon abzuhalten, sich weiter so anzugrinsen.
«Oh ja, wo fährst du hin? Paris? Mailand? Die Bahamas?», wollte nun auch Alex wissen.
«Monrovia», antwortete Julian.
Alex sah ihn verständnislos an.
«Das liegt in China», erklärte Mike und tätschelte ihr Knie.
«Nicht die Mongolei, Monrovia.» Jetzt machte auch Mike ein verblüfftes Gesicht. «Liberia. Westafrika.»
«Liberia?», wiederholte ich erstaunt. Julian wollte nach Liberia ? Unmöglich!
«Du machst ein Mode-Shooting in Liberia?», erkundigte sich Dom ungläubig. «Ist das nicht ein bisschen … unsensibel? Ich meine, der Krieg da ist doch kaum vorbei.»
«Das wird kein Mode-Shooting», erklärte Julian lächelnd. «Ich mache eine Reportage fürs Time Magazine . Aus dem Mode-Business will ich ja schon länger aussteigen. Ich habe auch hier mal als Foto-Journalist gearbeitet, und das Feedback zu meinen Bildern von der Antikriegs-Demo war wirklich positiv.»
«Die waren großartig», stimmte Alex zu, «aber, Liberia ? Nicht Paris? Oder Mailand? Bist du sicher? Ich kann mir das einfach nicht vorstellen …»
«Er wird das super machen», sagte Karl und legte seinem Freund den Arm um die Schultern. Julian küsste ihn auf die Wange und lächelte mir dann beruhigend zu.
«Ich mach das schon», sagte er. «Ich warte seit Jahren auf eine neue Herausforderung, um mich weiterzuentwickeln.»
Ich lächelte ihm unsicher zu. «Dafür ist Liberia auf jeden Fall gut», sagte ich dann.
Karl ging in den Küchen bereich , um die Vorspeisen vorzubereiten (Topinambur, Steinpilze und eine Art Parmesan-Hüte). Ich bot an, ihm zu helfen.
Zuerst begriff er nicht, was ich eigentlich wollte, doch dann nahm er mit einem Lächeln dankend an.
«Du machst dir Sorgen wegen Julian», stellte er fest, als wir außer Hörweite waren.
«Du etwa nicht?»
«Doch, aber dieser Job ist genau das, was er will, Nicole. Glaubst du, er hätte nicht auch Angst um dich? Eine Frau, die ständig unterwegs ist, um Menschenhändler und mit Drogen zugedröhnte Soldaten zu filmen?»
«Aber ich bin härter im Nehmen als er», widersprach ich. «Außerdem glaube ich nicht, dass er sich wirklich meinetwegen Sorgen macht. Jedenfalls hat er nie etwas in der Richtung gesagt.»
Karl, der die Steinpilze in hauchdünne Scheiben hobelte, hielt inne und sah mich fassungslos an.
«Denkst du ernsthaft, bloß weil er nichts sagt, bleibt er dabei ganz cool? Julian behält das für sich, weil er dich nicht aufregen oder dir ein schlechtes Gefühl geben will. Er ist stolz auf dich. Er bewundert dich. Er unterstützt dich.»
Karl widmete sich wieder seinen Steinpilzen und dem Hobel. Ohne mich anzusehen, fügte er dann hinzu: «Vielleicht kannst du
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