Du und ich und all die Jahre (German Edition)
für ihn ja dasselbe tun.»
In gedrückter Stimmung kehrte ich in den Wohn bereich zurück und küsste Julian auf die Stirn, bevor ich mich wieder auf meinen Platz setzte.
«Glückwunsch, Jules», sagte ich, und er strahlte mich an.
«Danke, Nic. Ich bin wirklich aufgeregt. Ich wollte so was schon seit Jahren machen, und dann war die Chance auf einmal da.» Etwas war seltsam an der Art, wie er das sagte. Etwas in seinem Blick irritierte mich, aber ich kam nicht dazu etwas zu sagen. «Du bist gerade so erfolgreich», sagte er und drückte meine Hand. «Ich bin richtig neidisch – so was will ich auch; ich möchte mehr tun … etwas Sinnvolles. Verstehst du?»
In der Tat konnte ich auf ein paar äußerst erfolgreiche Jahre zurückblicken. Nach dem Film über Menschenhandel, den ich für Simon Carvers Firma gedreht hatte, kam Zugang nur für Männer , ein preisgekrönter Dokumentarfilm über Sexismus am Arbeitsplatz.
Danach flogen mir die Aufträge nur so zu. In Uganda drehte ich einen Film über die Kindersoldaten der Widerstandsarmee des Herrn . Dann machte ich ein Feature über Amerikas sinnlosen Krieg gegen Drogen. Zuletzt war ich in Russland für einen Bericht über tschetschenischen Separatisten gewesen. Alles in allem eine aufreibende, inspirierende und überwältigende Zeit; ich hatte mir währenddessen kaum eine Pause gegönnt.
«Und was soll der Schwerpunkt deiner Liberia-Story werden, Julian?», wollte Dom wissen. «Hast du eine spezielle Idee im Kopf, oder ziehst du einfach los und wartest ab, was passiert? Ich weiß nicht so genau, wie das funktioniert.»
«Nein, es ist schon konkreter», sagte Julian.
«Inwiefern?», fragte Alex.
Julian wirkte kurz unsicher. «Ich besuche ein paar Organisationen, die durch den Krieg traumatisierten Kindern helfen.»
«Das klingt interessant. UNICEF oder die Weltgesundheitsorganisation vielleicht?», erkundigte sich Dom.
«Nein … ich meine ÄOG», antwortete Julian und verschluckte den Schluss des Satzes halb, sodass wir ihn kaum verstehen konnten.
«Entschuldige, wen?», hakte Mike nach.
«ÄOG», wiederholte Julian. Er fixierte seine Schuhspitzen. Das war also der Grund, warum er vorhin so verunsichert gewirkt hatte.
«ÄOG?», fragte Mike. «Was ist das?»
«Ärzte ohne Grenzen», erklärte ich und erhob mich.
Ich stand einen Augenblick hilflos da und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte kurz allein sein, konnte aber das Zimmer nicht verlassen, weil es hier ja gar keine Zimmer gab, nur Bereiche. Ich konnte mich schlecht einfach in eine der Ecken stellen. Schließlich ging ich ins Bad und blieb eine Weile dort. Ich fühlte mich betrogen.
Nach etwa fünf Minuten klopfte es leise an.
«Besetzt!», rief ich.
«Nic, bitte komm raus.» Julian.
«Geh weg!», rief ich – völlig kindisch – und schloss die Tür auf.
«Komm», sagte er und nahm meine Hand. Er ging mit mir auf den Korridor und dann raus auf die Feuertreppe. Die schmale, gewundene Metalltreppe führte aufs Dach hinauf.
«Mein Gott, das ist wirklich wie in New York», stellte ich fest, klammerte mich ans Geländer und versuchte, nicht nach unten zu schauen.
Julian und Karl hatten ihre Ecke des Dachs mit einigen Topfpflanzen abgegrenzt und ein paar Liegestühle aufgestellt. Julian und ich setzten uns nebeneinander auf einen und schauten auf die Themse. Für Ende Dezember war es eine milde Nacht. Regen lag in der Luft.
«Es ist wundervoll hier oben, wenn es klar ist», sagte Julian. «Man kann bis zum Canary Wharf sehen … na ja, heute nicht …», fügte er hinzu und zündete sich eine Zigarette an. «Sie hat damit nichts zu tun», sagte er schließlich. «Sie arbeitet nicht einmal mehr für Ärzte ohne Grenzen.»
«Das spielt sowieso keine Rolle», entgegnete ich. «Ich habe mich eben kindisch benommen. Das wäre doch egal.»
«Mir nicht. Bertrand hat mir den Einstieg ermöglicht. Ich habe ihn vor ein paar Wochen in London gesehen. Die arme Sau, er ist ein Schatten seiner selbst. Glaub nicht, dass er drüber weg ist …»
«Tut mir leid, das zu hören.» Ich knöpfte Julian seine Zigarette ab, inhalierte und gab sie zurück. «Wie geht es dem glücklichen Paar denn so? Hast du was gehört?» Ich konnte es mir nicht verkneifen, danach zu fragen, obwohl ich die Antwort nicht hören wollte.
«Laure hat ihn für irgendeinen Typen aus Spanien verlassen.» Mein Herz raste, und ich empfand eine höchst unehrenhafte Schadenfreude.
«Wann? Warum hast du’s mir nicht
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