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Du und Ich

Du und Ich

Titel: Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niccolò Ammaniti
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den Portier des Palazzo, in dem ich wohnte. Er sah einfach genauso aus wie eine Meerkatze, diese Affenart, die im Kongo lebt. Er hatte einen runden Kopf mit einem Streifen silberner Haare, der seinen Nacken bekränzte, über die Ohren und dann den Kiefer hinunterging, um sich auf dem Kinn zu schließen. Eine einzige dunkle Augenbraue lief über seine Stirn. Auch sein Gang war eigenartig. Er hielt sich dabei ein wenig gebückt und ließ die langen Arme baumeln, drehte die Handflächen nach vorn und wackelte mit dem Kopf.
    Er stammte aus Soverato in Kalabrien, wo seine Familie lebte. Doch er arbeitete schon immer in unserem Haus. Ich mochte ihn. Meine Mutter und mein Vater konnten ihn nicht leiden, weil sie meinten, er nähme sich zu viel heraus.
    Jetzt war das Problem, ins Haus zu kommen, ohne von ihm gesehen zu werden.
    Franchino war wahnsinnig langsam, und wenn er angefangen hatte, den Hof zu fegen, fand er kein Ende.
    Versteckt hinter einem parkenden Lastwagen auf der anderen Straßenseite, zog ich mein Handy heraus und rief seine Festnetznummer an.
    Das Telefon im Souterrain fing an zu klingeln. Der Cercopithecus brauchte eine Weile, bis er es hörte. Endlich ließ er den Besen los und ging mit seinem schaukelnden Gang auf die Portiersloge zu. Ich sah ihn auf der Treppe zu seiner Wohnung verschwinden.
    Ich packte die Ski und die Skistiefel und überquerte die Straße. Fast hätte mich ein Auto erwischt. Der Fahrer hupte, die folgenden Autos mussten scharf bremsen, und alle schimpften laut hinter mir her.
    Die Zähne zusammengebissen, mit den Ski, die mir runterrutschten, und dem Rucksack, der mir in die Schultern einschnitt, machte ich das Handy aus und ging durch das Tor. Ich kam am bemoosten Brunnen mit den Goldfischen vorbei und am englischen Rasen mit den Marmorbänken, auf die man sich nicht setzen durfte. Das Auto meiner Mutter parkte neben dem überdachten Eingang unter der Palme, die sie vom Roten Rüsselkäfer hatte kurieren lassen.
    Ich betete, auf niemanden zu stoßen, der aus dem Haus kam, schlüpfte in die Eingangshalle und lief über den roten Teppich, kam am Aufzug vorbei und stürzte die Treppe hinunter, die zu den Kellern führte.
    Als ich unten ankam, war ich außer Atem. Ich tastete die Wand ab und fand den Lichtschalter. Zwei lange, halb defekte Neonröhren flackerten auf und erleuchteten einen schmalen Gang ohne Fenster. Auf der einen Seite verliefen die Wasserrohre, auf der anderen waren verschlossene Türen. Vor der dritten angekommen, steckte ich meine Hand in die Tasche und zog einen langen Schlüssel heraus, den ich im Schloss drehte.
    Die Tür öffnete sich zu einem großen rechteckigen Raum. Oben ließen zwei verschmierte kleine Fenster einen matten Lichtschein durchsickern, der auf mit Tüchern verhangene Möbel fiel, auf Kartons voller Bücher, Töpfe und Kleider, auf wurmstichige Rahmen, Tische und Türen aus Holz, kalkverkrustete Waschbecken und gestapelte Korbstühle. Wo immer ich hinsah, lag haufenweise Zeug. Ein Sofa mit blauem Blumenmuster. Ein Stapel stockfleckige Wollmatratzen. Eine mottenzerfressene Sammlung Reader’s Digest . Alte Platten. Lampen mit schiefen Lampenschirmen. Das gusseiserne Kopfende von einem Bett. In Zeitungen eingerollte Teppiche. Eine große Bulldogge aus Keramik mit einer abgebrochenen Pfote.
    Eine Wohnung aus den Fünfzigerjahren, die man in einen Keller gezwängt hatte.
    Doch auf einer Seite lag eine Matratze mit Decken und einem Kissen. Ordentlich aufgereiht auf einem niedrigen Tisch standen zehn Dosen Simmenthal-Rindfleisch in Aspik, zwanzig Dosen Thunfisch, drei Packungen Dosenbrot, sechs Gläser mit Eingelegtem in Öl, zwölf Flaschen Ferrarelle-Mineralwasser, Fruchtsäfte und Coca-Cola, ein Glas Nutella, zwei Tuben Mayonnaise, Kekse, Süßigkeiten und zwei Tafeln Milchschokolade. Auf einer Kiste standen ein kleiner Fernseher, die Playstation, drei Romane von Stephen King und ein paar Marvel-Comics.
    Ich schloss die Tür.
    Das waren meine Skiferien.

 
2
    Ich habe mit drei Jahren zu sprechen angefangen, und Reden ist nie meine Stärke gewesen. Wenn ein Fremder das Wort an mich richtete, antwortete ich mit Ja, Nein, Weiß nicht. Und wenn er hartnäckig war, gab ich ihm die Antwort, die er hören wollte. Warum muss man etwas noch aussprechen, wenn man es schon gedacht hat?
    »Lorenzo, du bist wie eine Fettpflanze, du wächst, ohne zu stören, du brauchst nur einen Tropfen Wasser und ein bisschen Licht«, sagte mal ein altes Kindermädchen aus

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