Du und Ich
deinem Vater Auf Wiedersehen gesagt?«
»Ja.«
»Und was hat er gesagt?«
»Ich soll keine Dummheiten anstellen und nicht wie ein Verrückter Ski fahren.« Ich machte eine Pause. »Und ich soll dich nicht alle fünf Minuten anrufen.«
»Hat er das gesagt?«
»Ja.«
Sie schaltete und bog in die Via Flaminia ein. Der Verkehr in der Stadt wurde langsam dichter. »Ruf mich an, wann du willst. Hast du alles? Musik? Handy?«
»Ja.«
Der graue Himmel hing schwer über den Dächern und zwischen den Antennen.
»Die Tasche mit den Medikamenten hast du dabei? Hast du das Thermometer eingesteckt?«
»Ja.«
Ein Junge auf einer großen Vespa hatte sein Handy unter den Helm geschoben und lachte.
»Geld?«
»Ja.«
Wir fuhren über die Tiberbrücke.
»Ich glaube, den Rest haben wir gestern Abend zusammen kontrolliert. Du hast alles.«
»Ja, ich habe alles.«
Wir standen an einer Ampel. Eine Frau in einem Fiat 500 starrte in die Ferne. Auf dem Bürgersteig zog ein alter Mann zwei Labradore hinter sich her. Eine Möwe hockte auf einem Baumgerippe voller Plastiktüten, das aus dem schlammfarbenen Wasser aufragte.
Wenn Gott gekommen wäre und mich gefragt hätte, ob ich diese Möwe sein wolle, hätte ich Ja gesagt.
Ich machte den Sicherheitsgurt auf. »Lass mich hier raus.«
Sie sah mich an, als hätte sie mich nicht verstanden. »Wie, hier?«
Die Ampel wurde grün.
»Halt an, bitte.«
Doch sie fuhr weiter. Zum Glück war ein Müllauto vor uns, und wir mussten langsamer fahren.
»Mama! Halt an.«
»Schnall dich wieder an.«
»Ich bitte dich: Halt an.«
»Warum denn?«
»Ich will allein zum Treffpunkt gehen.«
»Ich verstehe nicht …«
Ich wurde lauter. »Halt an, bitte.«
Meine Mutter fuhr rechts ran, machte den Motor aus und strich sich die Haare mit der Hand zurück. »Also, was ist los, Lorenzo? Ich bitte dich, fang jetzt bloß nicht an … Du weißt, dass ich um diese Zeit noch nicht in der Lage bin, klar zu denken.«
»Es ist, dass …« Ich ballte die Fäuste. »Alle anderen gehen allein hin. Ich kann nicht mit dir kommen. Ich blamiere mich bis auf die Knochen.«
»Das musst du mir erklären …« Sie rieb sich die Augen. »Ich soll dich also hier rauslassen?«
»Ja.«
»Und mich nicht einmal bei Alessias Eltern bedanken?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ist nicht nötig. Ich sage es ihnen.«
»Das kommt überhaupt nicht infrage.« Sie drehte den Zündschlüssel um.
Ich warf mich auf sie. »Nein … nein … Bitte.«
Sie schob mich weg. »Bitte was?«
»Lass mich allein hingehen. Ich kann nicht mit meiner Mama ankommen. Dann machen sie sich über mich lustig.«
»Was für ein Unsinn … Ich will wissen, ob alles in Ordnung ist, ob ich etwas tun soll. Das scheint mir das Mindeste. Im Unterschied zu dir bin ich kein Höhlenmensch.«
»Das bin ich auch nicht. Ich bin genau wie alle anderen.«
Sie blinkte. »Nein. Kommt nicht infrage.«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Mutter so viel Wert darauf legen würde, mich hinzubringen.
Ich wurde wütend und fing an, mir mit den Fäusten auf die Beine zu schlagen.
»Was machst du da?«
»Nichts.« Ich umklammerte den Türgriff so fest, dass die Fingerknöchel weiß wurden. Am liebsten hätte ich den Rückspiegel abgerissen und das Autofenster eingeschlagen.
»Warum musst du dich wie ein Kleinkind benehmen?«
»Du behandelst mich wie einen … Arsch.«
Sie warf mir einen flammenden Blick zu. »Nicht diese Ausdrucksweise! Du weißt, das dulde ich nicht.«
Ich schlug mit der Faust aufs Armaturenbrett. »Mama, ich will allein dahingehen, verdammt.« Die Wut schnürte mir die Kehle zu. »In Ordnung. Dann fahre ich gar nicht. Bist du jetzt zufrieden?«
»Pass bloß auf, dass ich nicht ernsthaft wütend werde, Lorenzo.«
Ich spielte meine letzte Karte aus. »Alle haben gesagt, dass sie allein hingehen. Aber ich komme immer mit meiner Mama. Das ist der Grund dafür, dass ich Probleme habe …«
»Jetzt schieb es nicht auf mich, wenn du Probleme hast …«
»Papa hat gesagt, ich muss unabhängig werden. Mein eigenes Leben leben. Mich von dir lösen.«
Meine Mutter schloss die Augen halb und presste ihre schmalen Lippen aufeinander, als wollte sie sich daran hindern zu sprechen. Sie drehte sich um und starrte auf die vorbeifahrenden Autos.
»Es ist das erste Mal, dass sie mich einladen … Was sollen sie denn von mir denken?«, fuhr ich fort.
Sie blickte sich um, als hoffte sie, jemand würde ihr sagen, was sie machen sollte.
Ich
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