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Du wirst noch an mich denken

Du wirst noch an mich denken

Titel: Du wirst noch an mich denken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Andersen
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schwarzen Frau. Später hatte er festgestellt, dass Otis' Mutter jeden Feldwebel wie einen Waisenknaben aussehen ließ, wenn sie erst einmal in Fahrt geriet.
    Tatsächlich war es eine rasch hingeworfene Karikatur von Mrs. Jackson in Uniform gewesen, mit der die Freundschaft der beiden Jungen begonnen hatte. Otis war stehen geblieben und hatte ihm über die Schulter gesehen, neugierig, was der blonde Junge da zeichnete. James hatte mit angehaltenem Atem dagesessen und sich nicht zu rühren gewagt - mit dieser Zeichnung konnte er sich eine Menge Ärger einhandeln. In diesem Viertel musste man durchaus damit rechnen, dass man ein Eisenrohr über den Schädel gezogen bekam, wenn man sich über die Mutter von jemandem lustig machte.
    Otis war jedoch in schallendes Gelächter ausgebrochen und hatte James den Zeichenblock aus der Hand genommen. »Hey, Ma«, hatte er gerufen und war damit zu seiner Mutter gegangen. »Der weiße Typ da hat dich sofort durchschaut!«
    Seitdem waren sie Freunde.
    Jetzt, zwanzig Jahre später, stellte er plötzlich fest, dass Otis irgendwann in dieser Zeit sein Vokabular von den schlimmsten Ausdrücken gereinigt hatte, im Gegensatz zu ihm. Vielleicht war es an der Zeit, dass er seinem Beispiel folgte. Sie hatten es beide schon lange nicht mehr nötig, sich zu schützen oder andere einzuschüchtern, indem sie mit Beleidigungen um sich warfen.
    Aber es würde verdammt schwer werden, diese Gewohnheit abzulegen.
    Auf jeden Fall bemühte er sich nach Kräften, sich über das Verhalten, das die kleine Südstaatenschönheit ihm gegenüber an den Tag legte, nicht allzu sehr zu ärgern, weil er im Grunde genommen nicht glaubte, dass sie es mit Absicht tat - abgesehen von diesem Getue mit Mister. Er verspürte keineswegs das brennende Verlangen, sich mit ihr gut zu stellen. Sie waren zwei grundverschiedene Menschen, und je weniger er mit ihr zu tun hatte, desto geringer war die Gefahr, dass er sich mit ihren Problemen beschäftigte. Besser, er blieb auf Abstand zu ihr. Aber es gab auch keinen Grund für Feindseligkeiten. Da sie im gleichen Haus wohnten - sogar auf dem gleichen Stockwerk - war es nicht zu vermeiden, dass sie sich gelegentlich über den Weg liefen. Da sollten sie es doch zumindest schaffen, wie zwei zivilisierte Menschen miteinander umzugehen.
    »Na, dann lass ich dich mal weiterarbeiten«, sagte Aunie gerade zu Otis. »Ich habe selbst jede Menge Hausaufgaben zu erledigen.« Sie hob ihre Büchertasche auf und wandte sich zum Gehen. In gleichen Augenblick brach die Sonne durch die Wolken und tauchte das Ende des Flurs in Licht. Erst jetzt bemerkte sie James, der in einem ärmellosen schwarzen T-Shirt und ausgeblichenen Jeans auf dem Boden saß und von Kopf bis Fuß mit einer dicken Schicht Gipsstaub bedeckt war.
    Ihr Mund wurde trocken, und sie fühlte sich auf einmal unsicher, was ihr bei Otis oder Lola nie passierte. »Hallo, Mister Ryder«, sagte sie leise. »Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
    »Hallo, Magnolienblüte.« Er lächelte ihr träge zu und musterte sie auf die ihm eigene unverfrorene Art. Sie musste schlucken.
    »Ist Ihnen ohne Hemd denn nicht kalt?«, platzte sie heraus. Der belustigte Ausdruck, mit dem er seinen Blick über ihre bunt gemusterte Daunenjacke gleiten ließ, machte sie ganz kribbelig, ohne dass sie hätte sagen können, warum.
    »Nein«, erwiderte er in durchaus höflichem Ton, aber Aunie wurde trotzdem den Eindruck nicht los, dass er insgeheim über sie lachte. »Beim Abschleifen wird einem warm.« Sein Blick richtete sich erneut auf ihre Jacke. »Vielleicht sollten wir Sie auch ein Stück Wand abschleifen lassen. Ein bisschen körperliche Betätigung, und Sie müssten sich nicht wie ein kleines Mädchen zum Schlittenfahren vermummen.«
    Zu James' Verblüffung leuchteten ihre Augen interessiert auf. »Wirklich?«, fragte sie. »Ich muss zwar noch Hausaufgaben machen, aber zwanzig Minuten könnte ich schon erübrigen. Haben Sie das eben ernst gemeint?« Als er nicht sofort nein sagte - was vor allem daran lag, dass es ihm vor Überraschung die Sprache verschlagen hatte -, lächelte sie erfreut. »Bin sofort wieder da.« Sie wirbelte auf dem Absatz herum und lief zu ihrer Wohnung, wie ein Kind, das unerwartet schulfrei bekommen hat. Einen Augenblick später fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
    »Das war als Witz gemeint«, sagte James fassungslos zu dem Teppichboden zwischen seinen Beinen.
    Otis' Zähne blitzten weiß auf. »Das war sarkastisch gemeint«,

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