Du wirst noch an mich denken
Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee. Lola streckte den Kopf aus der Küche. »Willst du auch?«, fragte sie und hielt ihren Becher in die Höhe. »Hier ist alles ruhig. James schläft noch, und bis jetzt hat sich Bobby nicht gemeldet. Ich habe Otis auf der Wache angerufen, und er meint, du sollst dir wegen James keine Sorgen machen. Wenn Jimmy sagt, dass er keinen Doktor braucht, dann braucht er auch keinen.« Sie schnitt eine Grimasse und schüttelte den Kopf. Gleich nachdem sie gekommen war, hatte sie nach James gesehen und wusste daher, wie man ihn zugerichtet hatte. Aunie hatte nicht übertrieben. »Männer«, sagte sie verächtlich. »Wenn du mich fragst, hat keiner von denen auch nur noch so viel Verstand, wie in einen Fingerhut passt. Na ja, wie auch immer, Otis kommt jedenfalls gleich nach Hause, sobald seine Schicht heute Nachmittag zu Ende ist ... für den Fall, dass James und seine Brüder seine Hilfe brauchen.«
»Danke, Lola«, sagte Aunie. Sie war ziemlich stolz auf sich, weil sie heute Nacht ganz allein mit allem fertig geworden war, aber es war doch eine Erleichterung, die Last mit jemandem zu teilen. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir wäre, wenn du mir inzwischen einen Kaffee einschenkst. Ich bin sofort wieder da.« Sie hielt das Bündel mit James' Sachen hoch. »Ich will nur schnell das hier ins Schlafzimmer bringen.«
Das Erste, was James bewusst wahrnahm, als er langsam aus den komatösen Tiefen eines erholsamen Schlafs zurückkehrte, war, dass ihm alles höllisch wehtat. Es erinnerte ihn an die unerträglichen Schmerzen, die ihm einmal ein vereiterter Zahn beschert hatte, nur dass diesmal sein ganzer Körper schmerzte. Es gab keine Stelle, die verschont geblieben war.
Er fragte sich benommen, was zum Kuckuck passiert war, während er sich zwang, die Augen zu öffnen. Und wo in aller Welt war er? Ein paar Sekunden lang starrte er verständnislos die Schwarzweißfotografie eines Mannes mit nacktem Oberkörper an, dann ließ er seinen Blick über das zart geblümte Laken wandern, das seine Hüften bedeckte und neben dem sich die Blutergüsse und Schwellungen an seinen Beinen und auf seinem Bauch ziemlich merkwürdig ausnahmen. Jedenfalls war er nicht im Krankenhaus, dort gab es keine solche Bettwäsche.
Er unterzog seine Umgebung einer genaueren Musterung, und schließlich dämmerte es ihm. O Mann, das war Aunies Schlafzimmer. Eigentlich hätte er es an den Pin-up-Boys an den Wänden gleich erkennen müssen. Aber erst als er das kunstvoll geflochtene Fußteil ihres Betts sah, fiel der Groschen. Na gut, jetzt wusste er also, wo er war. Aber was in drei Teufels Namen tat er hier?
Nach und nach kehrte die Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht zurück: seine Rastlosigkeit, der Anruf von Paul, Glatzkopf und Stoppelschnitt, die ihn zusammengeschlagen hatten, Aunie, die ihn gefunden und ihm ins Haus geholfen hatte, die Schlüssel, mit denen Paul weggefahren war ... und sogar das Satinhemd von Aunie, das er vor ihr versteckt hatte, um damit einzuschlafen wie ein Zweijähriger mit seinem Kuscheltier.
Mannomann.
Er hatte sie gewarnt, sie solle bloß nicht von ihm erwarten, dass er sich mit ihren Problemen befassen würde. Und trotzdem hatte er sich irgendwie mit hineinziehen lassen. Und als ob das noch nicht schlimm genug wäre, sah es jetzt so aus, als würde sie genauso tief mit in seinen Familienangelegenheiten drinstecken.
Sie hatte nicht darum gebeten, in die Geschehnisse nach der Schlägerei vergangene Nacht verwickelt zu werden, und er wusste, dass er ihr das kaum zum Vorwurf machen konnte. Lieber Himmel, schließlich hatte sie ihm nur geholfen.
Aber er hatte Schmerzen, und sein Stolz litt immer noch darunter, dass er letzte Nacht in seiner Wohnung umhergewandert war, um wie ein pickliger Teenager den Mond anzuheulen und dauernd aus dem Fenster zu sehen, ob sie nicht endlich zurückkam, wobei er jedes Mal zusammengezuckt war, wenn ein Auto die Straße entlangfuhr. Und ob das nun logisch war oder nicht, es gefiel ihm einfach nicht, dass sie irgendwie mit in diese Sache hineingeraten war.
Verdammt noch mal, warum mischte sie sich in sein Leben ein?
Trotz seiner Schmerzen, die seine für gewöhnlich eiserne Selbstkontrolle erheblich beeinträchtigten, hätte er es vielleicht geschafft, seinen Ärger zu unterdrücken, wäre sein Blick nicht in diesem Moment auf den Kleiderstapel neben dem Bett gefallen. Er stutzte, weil ihm der Pullover merkwürdig bekannt vorkam,
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