Du wirst noch an mich denken
um irgendeinen Fremden handelt. Um die Wahrheit zu sagen, hing ich auch der Theorie vom großen Unbekannten an, bis ich erfahren habe, dass jemand in das Büro meines Anwalts eingebrochen hat. Jetzt glaube ich das nicht mehr.« Als er ihr nicht widersprach, fuhr sie fort: »Jedenfalls findet die Begegnung diesmal nicht in Wesleys vertrauter Umgebung statt, sondern in meiner, und ich werde mich gut darauf vorbereiten.« Sie wartete darauf, dass er sich über ihren unausgegorenen Plan lustig machen würde.
Zu ihrer Überraschung sagte er jedoch: »Gute Idee. Und ich kann Ihnen dabei helfen. Ich bin hier geboren und aufgewachsen.« Als sie sich nicht sofort freudig auf sein großzügiges Angebot stürzte, sondern ihn nur ernst mit ihren großen braunen Augen ansah, setzte er in leicht angesäuertem Ton hinzu: »Sie sagen doch, Sie sind nicht dumm, richtig? Wenn Sie so verdammt klug sind, dann handeln Sie auch danach. Vergessen Sie Ihre kostbare Unabhängigkeit mal für eine Weile, und nehmen Sie jede Hilfe an, die Sie bekommen können. Es geht hier schließlich ums Überleben.«
Sie schürzte die Lippen. »Ich werde darüber nachdenken.«
Gott, war sie stur. James erhob sich, fasste Aunie mit einer Hand am Kinn und hob ihr Gesicht zu sich. »Tun Sie das«, sagte er schroff. »Denken Sie lange und gründlich darüber nach.«
Er ließ sie los und ging aus dem Zimmer. Aunie hörte, wie er sein Werkzeug einpackte, und dann einen Moment später ein leises Klicken, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
Als sie sicher sein konnte, dass er weg war, sprang sie auf, um ihr neues Guckloch in Augenschein zu nehmen.
12
A m darauffolgenden Morgen bekam sie das erste Mal Gelegenheit, es auszuprobieren. Es läutete an ihrer Tür, als sie gerade Bücher und Schreibzeug in ihrer Tasche verstaute. Sie schlüpfte schnell in ein Paar Schuhe, ging zur Tür und spähte durch das Guckloch. Da sie nichts außer einer Männerbrust sah, schwenkte sie die Vorrichtung etwas weiter nach oben. James' Gesicht wirkte leicht verzerrt, war aber immer noch mühelos zu erkennen.
Sie öffnete die Tür. »Was wollen Sie?«, fragte sie wenig höflich. »Ich bin gerade im Begriff zu gehen.«
»Ja, das dachte ich mir«, erwiderte er ungerührt. »Deswegen bin ich ja rübergekommen. Ich brauche Ihren Schlüssel.«
»Wozu?«
»Ich will Kabel für eine Alarmanlage verlegen.«
Auf der Stelle vergaß sie ihren Ärger über die Art und Weise, wie er über ihr Leben bestimmte. »Wirklich? Wie funktioniert so eine Anlage?«
»Haben Sie Zeit für eine ausführliche Erklärung?«, erkundigte er sich trocken.
»Oh!« Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. »Nein, Mist, ich muss los.« Sie gab ihm ihren Schlüssel. »Wie komme ich wieder rein?«
»So was lässt sich nicht im Handumdrehen erledigen, Magnolie«, antwortete er. »Ich werde eine ganze Weile dafür brauchen. Klingeln Sie einfach, wenn Sie nach Hause kommen, und ich mache Ihnen auf. Falls ich nicht da bin, klingeln Sie hei Lola und lassen sich ihren Ersatzschlüssel geben. Ich hätte ihn mir selbst geholt, aber sie und Otis sind gerade nicht zu Hause. Außerdem war mir klar, dass Sie im Quadrat springen, wenn ich in Ihre Wohnung gehe, ohne vorher zu fragen.«
»Ich glaube, da verwechseln Sie etwas, James. Ich bin nicht diejenige, die einen Anfall gekriegt hat, als letztes Mal jemand ohne Erlaubnis eine Wohnung betreten hat.« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie ihre Kaschmirjacke und ihre Tasche und segelte aus der Tür.
James sah ihr nach, dann schüttelte er mit einem leisen Lachen den Kopf und schloss die Tür hinter ihr. Das musste sie ihm ja irgendwann unter die Nase reiben.
Als Lola ihm von dem neuesten Problem in Aunies Leben erzählt hatte - die Anrufe und Aunies Überzeugung, dass ihr Exmann dahintersteckte -, hatte er sofort beschlossen, ihr zu helfen. Mochte er sich auch vom ersten Tag ihrer Bekanntschaft an dagegen gewehrt haben, sich mit ihren Angelegenheiten zu befassen, so hatte er doch irgendwie gewusst, dass er früher oder später bis zum Hals mit drinstecken würde.
Sie brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte, und weil er das wusste, brachte er es nicht fertig, sie einfach sich selbst zu überlassen. Das hatte nichts damit zu tun, dass er sie für zu dumm hielt, um für sich selbst zu sorgen, wie sie gestern gemutmaßt hatte. Sie war klug genug. Woran es ihr jedoch mangelte, war praktische Lebenserfahrung, und wenn sie auch nur ein Gramm über fünfundvierzig Kilo
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