Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist
in der ich gewesen bin, aber das glaube ich nicht, denn in Musicals schlagen Nonnen keine Kinder.»
Ich spürte, dass wir vom Thema abkamen, was einem mit meiner Großmutter häufig passiert, daher sagte ich:«Aber glaubst du, die vier Jahre in Radcliffe waren eine wertvolle Erfahrung für dich?»
«Nun, wenn ich nicht nach Radcliffe gegangen wäre, hätte ich deinen Großvater nicht kennengelernt, und das wäre ein Jammer gewesen. Und ich wäre nicht ins Showbusiness gegangen, denn weißt du, meine Eltern hatten mir verboten, öffentlich aufzutreten, solange ich keinen Magister hatte, weil sie dachten, ich sei zu dumm oder zu faul, um einen Magister zu machen. Also ja, ich denke schon, dass es gut für mich war, aufs College zu gehen.»
«Ich wusste ja gar nicht, dass du einen Magister hast.»
«Oh doch», sagte meine Großmutter.
«In welchem Fach?»
«Ach, das habe ich vergessen», sagte sie.«Irgendetwas Harmloses wie Soziologie. Oder vielleicht auch Anthropologie. »
«Hast du am College gute Freunde gefunden?»
«Du liebe Güte, nein. Damals gingen nur ernsthafte Mädchen nach Radcliffe. Ernsthafte, strebsame Mädchen mit Brille und Wollstrümpfen. Ein überaus reizloser Haufen. Ich wünschte mir immer, ich wäre wie meine Schwester Geraldine auf das Sweet Briar College gegangen. Die Mädchen dort waren fröhlich und hübsch und haben anscheinend nie in ein Buch geschaut. Sie haben fast noch ihre Pferde mit in den Schlafsaal genommen. Aber das ist alles so lange her, James. Heutzutage sind die Colleges ganz anders. Du solltest Gillian nach diesen Dingen fragen, nicht mich.»
Meine Großmutter nahm zwei Tassen und zwei Untertassen aus dem Schrank und stellte sie auf den Küchentisch, dann holte sie die Milch aus dem Kühlschrank und goss sie in ein Kännchen, zog den Stecker der Kaffeemaschine und goss Kaffee in beide Tassen. Sie stellte die Kanne zurück auf die Arbeitsplatte, öffnete eine Schublade und förderte zwei Leinenservietten zutage, die sie zum Tisch herüberbrachte. Sie fragte mich, ob ich einen Keks wolle, und ich sagte nein, und dann setzte sie sich.
Sie goss sich Milch in ihren Kaffee und rührte um, schob das Milchkännchen und den Zucker zu mir herüber und sagte dann:«Worum geht es bei dem Ganzen? Überlegst du dir etwa, nicht aufs College zu gehen, James?»
«Ja», sagte ich.«Woher weißt du das?»
«Vielleicht kann ich ja doch hellsehen», sagte sie.
«Meinst du, ich sollte aufs College gehen?»
«Ich müsste wahrscheinlich wissen, was du sonst tun willst, aber ich kann nur schwerlich erkennen, weshalb meine Meinung für dich von Belang sein sollte.»
«Nun, sie ist aber von Belang für mich. Wenn es nicht so wäre, würde ich dich nicht danach fragen.»
«Weshalb willst du nicht aufs College gehen?»
Sie war der dritte Mensch, der mir in ebenso vielen Tagen diese Frage stellte, und ich hatte das Gefühl, dass ich sie immer schlechter beantwortete statt besser. Meine Großmutter wartete geduldig auf eine Antwort. Sie tat so, als wären Krümel auf dem Tisch, die sie wegfegen müsste.
Nach einem Augenblick sagte ich:«Es fällt mir schwer, zu erklären, weshalb ich nicht gehen will. Ich kann nur sagen, dass es nichts gibt, was mich am College reizen könnte. Ich will nicht unter solchen Leuten sein, ich habe mein ganzes Leben mit Leuten in meinem Alter verbracht, und ich kann sie nicht sonderlich leiden, und offenbar habe ich auch nicht viel mit ihnen gemein, und ich denke, dass ich alles, was ich wissen will, lernen kann, indem ich Bücher lese - im Grunde macht man am College ja ohnehin nichts anderes -, und das kann ich auf eigene Faust tun, ohne das ganze Geld für etwas zu verschwenden, was ich weder brauche noch möchte. Ich glaube, ich könnte mit dem Geld etwas anderes anfangen, was besser für mich wäre, als aufs College zu gehen.»
«Und das wäre?», fragte meine Großmutter.
Ich antwortete nicht, denn plötzlich, für eine oder zwei Sekunden, war mir klar, dass ein Teil dieses Widerwillens gegen das College einfach nur der Wunsch war, mich nicht fortzubewegen, denn genau dort, wo ich in diesem Moment war, fühlte ich mich wohl, und das empfand ich mit einer solchen Gewissheit, einer solchen Intensität: Da saß ich, in der Küche meiner Großmutter, trank ihren frisch aufgebrühten Kaffee aus richtigen Tassen und nicht aus Pappbechern mit Trinkschlitzen im Deckel, ich saß in ihrer tipptopp aufgeräumten Küche, die Hintertür war offen, so dass eine leichte
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