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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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herunterkommen, es sei denn, sie wolle aussehen wie ein angreifender Stier. Meine Großmutter glaubt fest an gutes Benehmen; wenn sie überhaupt einer Religion anhängt, dann dieser.
    «James», sagte sie, als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte (sie glaubt auch, dass es unhöflich ist zu sprechen, während man eine Treppe hinauf- oder hinuntergeht).«Ich hatte so ein Gefühl, dass ich dich heute sehen würde. Heute Morgen bin ich aufgewacht, und als Erstes dachte ich, na, ich wäre gar nicht überrascht, wenn James heute zu Besuch käme.»Sie machte die Tür auf.«Komm herein, aber sei vorsichtig. Ich habe gerade den Boden geputzt, und er ist vielleicht glatt.»
    Ich trat in die Eingangshalle.«Was ist los, du putzt am Samstagmorgen die Böden?»
    «Das ist ebenso gut wie an jedem anderen Tag. Ist das nicht ulkig, dass ich wusste, dass du kommst? Ich kann wohl hellsehen. »
    «Na ja, am Mittwoch habe ich dir gesagt, dass ich heute vielleicht vorbeikomme», sagte ich.
    «Hast du? Wirklich? Ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern. Nun, so viel zu meinen hellseherischen Kräften. Wenn das wieder einmal passiert, dann sei doch so gut und sag es mir nicht. Lass einer alten Dame die Freude. Möchtest du einen Saft oder einen Kaffee? Oder ein paar Eier mit Speck? Hast du schon gefrühstückt?»
    «Ja», sagte ich,«aber ein Kaffee wäre wunderbar.»
    «Gut, dann will ich uns frischen Kaffee kochen.»Sie ging durch die Halle in die Küche, die blitzsauber war, auf der rosafarbenen Arbeitsfläche aus Resopal stand nichts außer den mit MEHL ZUCKER KAFFEE beschrifteten Blechdosen. In der Küche meiner Großmutter ist alles stets an seinem Platz, selbst die Sachen im Kühlschrank und in den Hängeschränken. Sie hat einen dieser alten Kühlschränke mit nur einer Tür, die man mit einem Hebelgriff aufmacht.
    «Setz dich», sagte sie.«Da liegt die Zeitung, wenn es dich interessiert.»Sie öffnete die Dose mit dem Pulver und machte sich daran, Kaffee zu kochen. Ich blätterte in der Zeitung, die recht dünn war, schließlich war es Samstag. Mir fiel jedoch auf, dass meine Großmutter das Kreuzworträtsel gelöst hatte, was selbst meiner Mutter samstags nur selten gelingt. (Das Rätsel wird im Lauf der Woche immer schwieriger.)
    Während meine Großmutter die Kaffeekanne an der Spüle füllte, drehte sie sich zu mir um.«Wann kommt eigentlich deine Mutter nach Hause?»
    «Sie ist schon wieder zu Hause», sagte ich.
    «Ich dachte, sie wollten eine Woche wegbleiben.»
    «Wollten sie. Aber sie ist früher nach Hause gekommen. Am Donnerstag.»
    «Nun, das zeugt von Verstand. Ist Mr. Rogers schon bei euch eingezogen?»
    Mr. Rogers war tatsächlich vor etwa zwei Monaten bei uns eingezogen, als meine Mutter eingewilligt hatte, ihn zu heiraten, was etwa sechs Monate, nachdem sie ihn kennengelernt hatte, geschehen war. Glücklicherweise hatte er seine Wohnung noch nicht verkauft; er hatte warten wollen, bis sich der Markt«erholt».
    «Ja, er ist eingezogen», sagte ich. Ich konnte es nicht glauben, dass ich all diese Fragen ehrlich beantwortet und die wahren Neuigkeiten dennoch nicht preisgegeben hatte.
    «Nun, James, das tut mir leid für dich», sagte meine Großmutter.«Ich würde mit diesem Mann nicht im selben Haus wohnen wollen. Aber du wirst ja jetzt bald genug von dort wegkommen, nicht wahr?»
    Statt auf ihre Frage zu antworten, sagte ich:«Was hältst du vom College?»
    «Von welchem College? Brown?»
    «Nein - vom College im Allgemeinen.»
    «Tja, dazu habe ich wirklich keine besondere Meinung, da ich seit - lass mich nachdenken - 60 Jahren an keinem College mehr war. Aber nein, was sage ich da; ich bin 81, also seit 57 Jahren.»
    «Aber bist du froh darüber, dass du aufs College gegangen bist? War es eine gute Erfahrung?»
    «Doch, ich denke schon. Auch wenn ich mich an rein gar nichts mehr erinnern kann, was ich gelernt habe. Außer an Latein, und das auch nur deshalb, weil die Nonnen es buchstäblich in uns reingeprügelt haben, und manchmal brauche ich es für das Kreuzworträtsel.»
    «Es gab Nonnen in Radcliffe?»
    «Ja, da gab es nur Nonnen.»
    «Bist du dir sicher? In Radcliffe?»
    «Vielleicht war es auch an der High School.»
    «Aber du bist nicht katholisch. Ich glaube nicht, dass du auf einer Konfessionsschule warst.»
    «Nun, ich kann mich ganz genau an Nonnen erinnern, die mit Stöcken in der Hand den Gang auf und ab geschritten sind, während wir Latein aufgesagt haben. Vielleicht war es ja eine Show,

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