Du zahlst den Preis fuer mein Leben
Nica ihr das Ergebnis ihrer Recherche mitteilte. »Wir können doch nicht nur Fisch essen.«
»Vielleicht doch! Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder Fleisch essen kann, egal wie das Tier ums Leben kommt«, meinte Nica, die sich auch die Bilder vom Schächten angesehen hatte.
Aber das mit dem Fischessen war auch nicht so einfach. Damit der Fisch
halal
war, musste er Schuppen haben wie Barsche, Brassen, Heringe oder Lachse. Alle Hautfische wie Aale, Forellen, Haie waren
haram
. Shrimps durfte man essen, sofern sie lebendig aus dem Wasser kamen. Hummer, Schnecken und Krebse waren
haram
.
»Woher soll man denn wissen, ob bei euch die Fische lebendig aus dem Wasser kommen?«, fragte Ibu etwas verzweifelt.
Bapak erkundigte sich beim Imam in der Moschee, der ihm erklärte, dass es ausreichte, wenn man den Fisch untersuchte und er frisch aussah, man also annehmen konnte, er sei lebendig gewesen, als er ins Netz ging. Auch beim Fleisch ließ der Imam Kompromisse zu. Wenn keine Schlachterei in der Nähe war, wo man geschächtetes Fleisch kaufen konnte, durfte man auch die erlaubten Fleischsorten aus dem Supermarkt kaufen.
Die Wochenenden verbrachte Nica, wenn die Mutter nicht da war, mit Ibu und Bapak im indonesischen Gemeindezentrum, wo sich die Indonesier, die in der Stadt lebten, trafen. Es war eine bunt gemischte Gruppe aus allen Teilen Indonesiens, hauptsächlich aber aus Java und Sumatra. Unterschiede zwischen christlichen und muslimischen Indonesiern spielten hier keine Rolle. Sie kochten gemeinsam und feierten die traditionellen Feste.
Manchmal, für Nicas Geschmack viel zu selten, gab es eine Wayang-Vorführung, das berühmte indonesische Schattentheater. Nica hatte zu Hause eine ganze Sammlung von Wayang-Kulit-Figuren, deren bewegliche Arme an Spielstäbe montiert waren. Jedes Jahr brachte sie eine neue Figur aus dem Urlaub mit. Die erste Figur hatte ihr Vater ihr geschenkt: einen Dämon mit wild funkelnden Augen.
Nica wurde von den anderen wie eine Tochter Ibus und Bapaks aufgenommen. Und natürlich trug sie an den Wochenenden im Kulturzentrum langärmlige Blusen oder T-Shirts wie Ibu und den Jilbab, der ihre Haare bedeckte und bis auf die Schultern fiel. Die Blicke, die die Menschen ihr im Bus und auf der Straße zuwerfen, ignorierte sie. Sie war längst daran gewöhnt. So wie viele junge Mädchen in Indonesien den Jilbab trugen als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zum Islam, trug Nica ihn als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Ibu und Bapak.
Kali kam nur sehr selten mit ins Kulturzentrum, was Ibu sehr traurig machte. »Er sitzt lieber an seinem Computer und spielt den ganzen Tag irgendwelche verrückten Sachen«, beklagte sich Ibu bei Nica.
Kali fand es auch gar nicht gut, dass Nica einen Jilbab trug. »Warum tust du das?«, fragte er sie, als er sie das erste Mal mit ihrem Jilbab gesehen hat. »Es ist doch keine Verkleidung wie bei Karneval.«
»Ich habe ihn auch in Indonesien getragen.«
»Da warst du noch ein Kind. Du hast das getan, was Riani gemacht hat.«
Es war einer der wenigen Momente, wo Kali seine kleine Schwester erwähnte.
»Nica ist wie meine Tochter und als meine Tochter trägt sie einen Jilbab, wie sich das gehört!«, mischte sich Ibu ein.
Da flippte Kali völlig aus: »
Dia bukan putri anda!
Sie ist nicht deine Tochter! Du hast eine Tochter, vergiss das nicht!«
Seine Mutter legte die Hände vor das Gesicht und fing an zu weinen. Mit Entsetzen sah Nica, wie sie am ganzen Körper zitterte.
Auch Nica zitterte – vor Wut. »Spinnst du, Kali. Was hat Ibu dir denn getan? Wie kannst du so mit ihr reden?«
»Was sie getan hat? Sie und Bapak? Frag sie doch! Ibu, erzähl es ihr. Na los!«
Seine Mutter schluchzte laut.
»Hör auf! Du quälst sie!«
»Aber sie wird dir nichts sagen. Niemand wird dir was sagen. Das ist eine Familiensache. Eine Ehrensache. Nicht wahr, Ibu? Ehre! Ha!«
Aber Ibu war bereits in ihr Schlafzimmer gegangen und hatte die Tür hinter sich abgeschlossen.
Hinter der verschlossenen Tür hörte Nica sie schluchzen.
»Wie kannst du nur! Du musst dich entschuldigen.«
»Entschuldigen? Wofür? Halt dich da raus! Du hast doch keine Ahnung.«
Mit diesen Worten knallte auch Kali die Tür zu seinem Zimmer zu.
Nica stand alleine im dunklen Flur. Traurig und verwirrt ging sie die Treppen hinunter ins Erdgeschoss. Die Harmonie in der Familie, auf die Bapak so stolz war, lag zerstört am Boden.
6
Ibu und Bapak waren gläubige Muslime. Sie gingen regelmäßig in die kleine
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