Du zahlst den Preis fuer mein Leben
setzte sich an den Esstisch.
Kurze Zeit später erschien die Mutter. »Was soll das, Nica?«
»Er zieht ein und ich ziehe aus. Wo ist das Problem?«
Die Mutter schaute etwas hilflos zu Bapak.
»Wo soll sie wohnen?« Bapak zögerte. Er hatte im Gästezimmer seinen Gebetsraum eingerichtet, den er nur ungerne zur Verfügung stellen wollte.
»Sie kann mein Zimmer haben.« Kalis Angebot kam für alle überraschend.
»Und du? Wo willst du leben?«, fragte Ibu.
»In Nicas Zimmer. Wir tauschen.«
»Zum Essen musst du aber hochkommen«, sagte Ibu etwas besorgt.
»Klar doch!«, sagte Kali und grinste seine Mutter an. »Ohne dein Ayamgoreng kann ich doch gar nicht überleben!«
Zum Glück fanden sowohl Bapak, der froh war, seinen Gebetsraum gerettet zu haben, als auch Nicas Mutter diese Lösung gut. »Für den Übergang ist es vielleicht besser so«, sagte sie. »Da könnt ihr euch langsam aneinander gewöhnen, wenn ihr euch im Garten seht. Irgendwann wird es für dich normal sein, dass er hier wohnt.«
Nica setzte ein
basa-basi-
Gesicht auf, lächelte und schwieg.
Nach dem Essen packte Kali seine Sachen ein. Nica stand in der Tür und beobachtete ihn. »Bist du sicher, dass du das wirklich willst?«, fragte Kali sie, während er seine Schulbücher in eine Kiste packte.
»Wieso? Ich ziehe nur von einem Stockwerk ins andere. Hast du ein Problem damit?«
»Ich nicht. Aber du wirst eins haben. Es liegen mehr als nur zwanzig Stufen dazwischen.«
»Ich bleibe keine Sekunde länger bei meiner Mutter und ihrem Lover. Inzwischen spielt er sich auf, als wäre er mein neuer Vater. Ich lass mir doch von dem keine Vorschriften machen.«
»Wenn du Freiheit suchst, bist du hier oben ganz falsch. Hier oben ist Bapaks Wort Gesetz. Er entscheidet, wir gehorchen. Dein Lieblingssport, Diskutieren, ist hier oben unerwünscht, weil es
kasar
ist.«
»Was?«
»
Kasar,
du wirst schon sehen. Kritik an Respektspersonen. Hier oben musst du immer
halu
sein: sanft und höflich.« Kali grinste. »Bist du sicher, dass du das kannst?«
»Ich kann alles. Hauptsache, ich muss nicht jeden Morgen sehen, wie Ulf sich am Waschbecken meines Vaters die Zähne putzt.«
»Du hast ja keine Ahnung! Die Harmonie hier oben ist nichts als Unterdrückung. Einer befiehlt, alle anderen gehorchen und sollen dann noch möglichst lächeln. Aber ich hab dich gewarnt.« Kali verschwand. Es schien, als wäre er froh, gehen zu können.
Nica sah sich in seinem Zimmer um, das sie bislang noch nie betreten hatte. Zu ihrer Verwunderung gab es nirgendwo Erinnerungen an seine Heimat. Nur auf dem Schreibtisch stand ein Bild von Kali, Nica und Riani aus dem Jahr 2008. Das Bild hatte Nicas Mutter beim letzten Besuch gemacht, als sie alle noch zusammen waren. Das gleiche Bild stand auf ihrem Schreibtisch. Riani, wo bist du?
8
Was Kali meinte, zeigte sich schon am nächsten Morgen. Als Nica in kurzen Hosen und einem ärmellosen T-Shirt am Frühstückstisch erschien, schaute Ibu sie missbilligend an. »Du willst doch nicht so nach draußen gehen?«
»Wieso?«
»Ein anständiges Mädchen geht nicht halb nackt aus dem Haus.«
»Wieso halb nackt? Es ist Sommer. Alle laufen so herum. Was ist daran so schlimm?«
»Du bekommst keinen anständigen Mann, wenn du so herumläufst.«
»Was ist auf einmal mit euch los? Ich bin doch immer so herumgelaufen. Ihr habt nie gesagt, dass es euch stört.«
»Gestört hat es uns immer, weil kein anständiges Mädchen so herumläuft. Aber wir waren nicht zuständig«, sagte Bapak. »Doch jetzt wohnst du hier bei uns, bist Teil meiner Familie. Und hier gelten meine Regeln, die Regeln, wie sich ein anständiges Mädchen aus einer muslimischen Familie zu verhalten hat. Ich möchte nicht, dass meine Freunde schlecht über uns reden, weil wir zulassen, dass du halb nackt herumläufst. Also zieh dir bitte eine lange Hose und eine Strickjacke an.«
Kali grinste Nica an. Sein Blick sagte: Hab ich zu viel versprochen? Hier herrschen Bapaks Regeln.
Nica biss sich auf die Zunge. Fehlte nur noch, dass sie einen Jilbab anziehen sollte! In Kalis Zimmer zog sie sich um, legte ihre kurze Hose und das T-Shirt demonstrativ auf das Bett, zeigte sich dann noch kurz im Esszimmer, wo Ibu und Bapak ihr zufrieden zunickten, während Kali weiter grinste, schnappte sich ihre Schultasche und verschwand.
Aus dem Schrank in ihrem Zimmer unten holte sie sich ein neues T-Shirt und einen kurzen Rock. Hinten im Park zog sie sich um, steckte ihre Jeans und die
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