Du zahlst den Preis fuer mein Leben
sprach. Aber nur Fremde nannte man beim Namen.
Warum tat er das?
»Putri saya sedikit!«,
damit hatte es angefangen. Warum konnte er es nicht ertragen, dass seine Mutter Nica als ihre Tochter ansah? Sie nahm doch Riani nichts weg. Aus diesen Worten sprach doch nur Ibus Sehnsucht nach ihrer Tochter, die nicht hier sein konnte, aus welchem Grund auch immer.
7
Kalis Familie wurde immer mehr zu einem zweiten Zuhause für Nica, vor allem seitdem ihre Mutter einen neuen Freund hatte. Ulf hatte ein Ingenieurbüro und unterstützte ihre Mutter seit dem Verschwinden des Vaters. Aus der Geschäftsbeziehung war eine Liebesbeziehung geworden.
Nica mochte Ulf, aber als Ersatz für ihren Vater kam er nicht infrage. Den konnte man nicht ersetzen, außerdem wusste doch niemand, ob man ihn überhaupt ersetzen musste. Gegen jede Vernunft hoffte sie, dass ihr Vater eines Tages doch noch auftauchen würde. In ihren Träumen lebte er immer noch auf einer einsamen Insel vor der indonesischen Küste und wartete auf ein vorbeifahrendes Schiff.
»Sie haben alles abgesucht!«, sagte die Mutter.
»Es gibt keine Hoffnung auf Überlebende!«, sagte auch Bapak.
Nica hoffte weiter auf ein Wunder. Sie nahm es der Mutter übel, dass sie sich mit einem anderen Partner trösten konnte. Sie wollte keinen neuen Vater. Sie hatte einen. Und solange man seinen toten Körper nicht finden würde, lebte er für sie.
»So schrecklich das auch ist: Er lebt nicht mehr«, sagte die Mutter immer wieder. »Aber wir müssen weiterleben. Er wird immer ein ganz wichtiger Teil in unserem Leben bleiben, doch er ist nicht mehr unser Leben. Du musst endlich abschließen.«
Aber genau das konnte Nica nicht. Und so betrachtete sie mit wachsendem Misstrauen, wie Ulf immer mehr den Platz ihres Vaters an der Seite ihrer Mutter einnahm. Als er das erste Mal morgens beim Frühstück aus dem Schlafzimmer ihrer Eltern kam, hatte sie ihn nur sprachlos angestarrt. Er hatte doch tatsächlich die Nacht im Bett ihres Vaters verbracht!
Seitdem ging sie jedes Mal, wenn Ulf bei ihrer Mutter übernachtete, zum Frühstücken zu Ibu und Bapak. Hier fand sie das Verständnis, was sie bei ihrer Mutter vermisste. Mit ihnen konnte sie über den Vater reden. Sie hörten zu, während die Mutter immer öfter sagte: »Nica, du tust dir nur selber weh, wenn du immer wieder die gleichen Szenen durchspielst. Es ist vorbei und das Leben geht weiter.« Wenn sie dann noch Ulf einen zärtlichen Blick zuwarf, wurde Nica übel.
Ibu und Bapak hörten auch zu, wenn ihnen Nica von den Vorwürfen erzählte, die sie sich immer noch manchmal machte. »Er könnte noch leben, wenn ich damals nicht so ein Theater gemacht hätte. Wir hätten einen Ausflug gemacht und die große Welle wäre an uns vorbeigerauscht.«
»Dich trifft keine Schuld. Alles, was dir passiert ist und noch passieren wird, steht längst in Allahs Buch«, sagte Bapak. »Versuch nicht, Allah zu verstehen. Unser Geist ist viel zu klein. Vertraue ihm, dass er das Beste für dich will, auch wenn du es nicht verstehst.«
Nica fand es irgendwie tröstlich, dass sie nicht verstehen musste, was niemand verstehen konnte.
Als sie eines Nachmittags von der Schule zurückkam, stand ein Möbelwagen vor der Tür. Ihre Mutter und Ulf räumten fröhlich lachend Kisten ins Haus.
Die Mutter nahm Nica etwas verlegen beiseite. »Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Der Möbelwagen war für heute bestellt und du bist ja ständig ausgewichen, wenn ich darüber reden wollte. Und heute Morgen warst du auch weg, als ich zum Frühstück kam.«
»Dafür war Ulf ja da. Was wird das hier?«
»Ulf zieht ein.« Die Mutter holte tief Luft.
»Ulf … zieht … bei … uns … ein? Niemals!«
»Nica! Bitte!«
»Wenn er einzieht, gehe ich!«
»Nica!«
Von ihrem Fenster aus beobachtete Nica, wie die Mutter aufgeregt mit Ulf redete. Für einen Moment hoffte sie, dass die Kisten wieder eingepackt und der Möbelwagen mit Ulf davonfahren würde. Stattdessen holten sie weitere Kisten aus dem Wagen.
Da wartete Nica nicht länger. Sie holte sich einen Koffer und packte ihre Sachen, schnappte ihre Schultasche und ging die Treppe hinauf.
Ibu schaute verwundert auf ihren Koffer. »Willst du verreisen?«
»Ich ziehe unten aus.«
»Weil er einzieht?«
Nica nickte.
»Komm erst mal was essen. Dann sehen wir weiter.« Für Ibu regelten sich alle Probleme von alleine, wenn man einen gefüllten Magen hatte. Also stellte Nica ihren Koffer zunächst im Flur ab und
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