Dublin Street - Gefaehrliche Sehnsucht
Bruder treffen musste. Sie lebten zusammen in einem kleinen Apartment auf dem Leith Walk, wo sie sich abwechselnd um ihre Mum kümmerten, die an CFS litt – chronischem Erschöpfungssyndrom. Um die Miete zahlen zu können, setzte Jo – die umwerfend aussah – ihr Äußeres ein, um sich ›Sugardaddys‹ an Land zu ziehen, die ihnen finanziell unter die Arme griffen. Es nutzte nichts, dass viele Leute ihr immer wieder sagten, sie wäre clever genug, um mehr aus ihrem Leben zu machen, sie war und blieb furchtbar unsicher. Das Einzige, was sie sich zutraute, war, sich Männer zu angeln, die sie und ihre Familie unterstützten. Aber die Krankheit ihrer Mum überwog dann doch immer ihre Schönheit, und über kurz oder lang ließen die Männer sie wieder fallen. »Das tut mir leid, Jo. Du weißt, wenn du Hilfe bei der Miete oder sonst etwas brauchst, musst du es nur sagen.«
Ich hatte ihr das öfter angeboten, als ich zählen konnte. Sie hatte immer abgelehnt.
»Nee.« Sie schüttelte den Kopf und hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Ich finde schon einen anderen. Tue ich immer.«
Sie schlich mit hängenden Schultern davon, und ich begann mir Sorgen um sie zu machen, obwohl ich das wirklich nicht wollte. Jo gehörte zu den Missverstandenen. Sie konnte einem mit ihrer materialistischen Einstellung auf die Nerven gehen, aber auch mit ihrer Loyalität gegenüber ihrer Familie beschämen. So liebte sie zum Beispiel schöne Schuhe, aber sie waren zweitrangig, wenn es darum ging, dafür zu sorgen, dass ihr kleiner Bruder und ihre Mum okay waren. Leider brachte diese Loyalität es mit sich, dass sie rücksichtslos über jeden hinwegtrampelte, der ihr in die Quere kam, und von jedem niedergetrampelt wurde, der ihre Situation ausnutzen wollte. »Zeit für meine Pause. Ich schick dir Craig raus.«
Ich nickte, obwohl sie mich nicht sehen konnte, und fragte mich, wer wohl ihr nächstes Opfer sein würde. Oder musste es heißen: Wem sie als Nächstes zum Opfer fallen würde?
»Ruhig heute Abend.« Zwei Minuten später kam Craig mit einer Dose Cola in der Hand auf mich zu. Hochgewachsen, dunkelhaarig und gut aussehend wie er war, kassierte Craig wahrscheinlich genauso viel Trinkgeld wie Jo und ich. Er war ein notorischer Flirter. Und gut auf diesem Gebiet.
»Es ist Sommer«, gab ich zurück und ließ den Blick durch den fast leeren Club schweifen, ehe ich mich mit dem Rücken an die Bar lehnte. »Wenn der August kommt, läuft es werktags besser.« Ich musste ihm nicht erklären, dass es wegen des Edinburgh Festivals besser laufen würde. Im August wurde ganz Edinburgh von dem berühmten Festival beherrscht. Touristen fielen in die Stadt ein und schnappten uns die besten Tische in den besten Restaurants weg, und es waren immer solche Massen, dass man auf der Straße für fünf Schritte fünf Minuten benötigte.
Aber die Trinkgelder waren gut.
Craig stöhnte und lehnte sich zu mir. »Ich langweile mich zu Tode.« Er ließ den Blick träge über meinen Körper gleiten. »Hast du Lust, es auf dem Männerklo mit mir zu treiben?«
Das fragte er mich während jeder Schicht.
Ich verneinte jedes Mal und riet ihm dann, es doch mit Jo zu treiben. Seine Antwort: »So weit waren wir schon.« Ich stellte eine freundliche Herausforderung für ihn dar, und ich glaube, er hatte sich wirklich eingeredet, mich eines Tages herumkriegen zu können.
»Und? Hast du Lust?«, erklang eine vertraute Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum und blinzelte verdutzt, als ich Ellie auf der anderen Seite der Theke sah. Hinter ihr standen ein Typ, den ich nicht kannte, und … Braden.
Ich wurde blass, und da ich mich immer noch wegen gestern schämte, fiel mir der sorgfältig verschleierte Ausdruck in seinen Augen kaum auf, mit dem er Craig musterte.
Ich riss meinen eigenen Blick von ihm los und lächelte Ellie schwach an. »Äh … was machst du denn hier?«
Ellie und ich hatten gestern gemeinsam zu Abend gegessen. Ich hatte ihr erzählt, dass Braden vorbeigekommen war, aber verschwiegen, dass er mich splitterfasernackt überrascht hatte. Sie hatte mir von ihrem Kurs erzählt, und ich konnte verstehen, warum sie eine so gute Lehrerin war. Ihre Leidenschaft für Kunstgeschichte war ansteckend, und ich stellte fest, dass ich mit aufrichtigem Interesse zuhörte.
Alles in allem war es ein erfreuliches erstes gemeinsames Dinner gewesen. Ellie hatte mir eine Reihe persönlicher Fragen gestellt, die ich aber immer an sie selbst hatte zurückgeben können. Ich
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