Dublin Street - Gefaehrliche Sehnsucht
betrachtete, der um die Frau weinte, die er liebte, ging mir auf, dass Rhians Leben längst nicht so verkorkst war wie meines. Sie hatte James alles erzählt, weil sie ihm vertraute, und hatte gemeinsam mit ihm ihre Probleme aufgearbeitet. Oder es zumindest versucht.
Das war ein großer Schritt in die richtige Richtung.
»Joss.« James’ Stimme hatte jetzt einen flehenden Klang angenommen. »Bitte rede mit ihr. Sie hört auf dich. Sie glaubt, wenn du als Single glücklich bist, funktioniert das auch bei ihr.«
Glücklich? Ich war nicht glücklich. Ich war nur sicher.
Ich seufzte tief. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. »Hör zu, du kannst hier unterkommen, so lange du willst.«
James musterte mich eine Spur zu lange. Sein Gesicht verriet nicht, was in ihm vorging. Endlich nickte er. »Ich würde gerne heute Nacht hier auf der Couch schlafen. Morgen fahre ich nach Hause zu Mum und bleibe dort, bis ich einen Ausweg aus dieser Situation gefunden habe.«
»Okay.«
Danach schwiegen wir. Ich holte eine Decke aus dem Schrank und legte sie zusammen mit einem von meinen Kissen auf die Couch. Jedes Mal, wenn ich in James’ Nähe kam, konnte ich spüren, wie enttäuscht er von mir war, also ließ ich ihn im Wohnzimmer sitzen und zog mich in mein Zimmer zurück.
Dort rief ich Ellie an.
»Hey, ist alles in Ordnung bei dir?«, fragte sie. Die Musik und der Lärm im Hintergrund verklangen, als sie durch die Bar ging, in der sie gerade war, und in eine etwas ruhigere Straße hinaustrat.
Nein, es ist nichts in Ordnung. Überhaupt nichts. »Mir geht es gut. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, aber ich habe James gesagt, er kann heute Nacht auf der Couch schlafen. Morgen fährt er wieder nach Hause.«
»Kein Pro… was?« Sie wandte sich vom Telefon ab und sprach mit jemand anderem. »Es geht ihr gut. Er schläft auf der Couch.«
War das Braden?
»Nein, ich sagte doch, es ist alles okay. Braden, ihr fehlt nichts. Geh weg.« Ihr Seufzen wurde lauter, als sie wieder ins Telefon sprach. »Sorry, Joss. Nein, das ist kein Problem. Möchtest du, dass ich nach Hause komme?«
Möchtest du, dass ich nach Hause komme?
War ich zu Hause? Brauchte ich sie?
Ich kannte sie kaum, doch genau wie Braden war es auch Ellie irgendwie gelungen, meinen Panzer zu durchdringen. Von diesem ungewöhnlich emotionsgeladenen Tag erschöpft, schüttelte ich den Kopf. »Nein, Ellie, mir geht’s wirklich gut. Bleib nur. Amüsier dich. Vergiss bloß nicht, dass ein fremder Typ auf der Couch schläft, wenn du nach Hause kommst.«
»Alles klar.«
Ich legte zögernd auf und starrte die Wand an. Mir war schwindelig. Warum fühlte ich mich, als wäre ich seelisch vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten? Als hätte ich die Kontrolle verloren? So verängstigt?
Warum hatte der Umzug in die Dublin Street innerhalb so kurzer Zeit so viel verändert?
Es hatte sich viel verändert, aber offenbar nicht genug. Ich war immer noch alleine. Aber ich war alleine, weil ich es so wollte. Rhian, das wurde mir plötzlich klar, war da ganz anders als ich. Sie würde allein nicht überleben.
Ich wählte ihre Nummer.
Sie meldete sich, als ich schon wieder auflegen wollte. »Mm-ja?«
Oh Gott, sie klang furchtbar. »Rhian?«
»Was willst du, Joss? Ich habe geschlafen.«
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, dass sie nur noch im Bett gelegen hatte, seit James gegangen war. Plötzlich wurde ich wütend auf sie. »Ich rufe an, um dir zu sagen, dass du eine Vollidiotin bist.«
»Wie bitte?«
»Du hast mich schon verstanden. Jetzt sieh zu, dass du James anrufst und ihm sagst, dass du einen großen Fehler gemacht hast.«
»Lass mich in Ruhe, Joss. Du weißt besser als jeder andere, dass ich allein besser dran bin. Hast du getrunken?«
»Nein. Ich sitze hier, während dein Freund auf meiner Couch schläft.«
Sie sog zischend den Atem ein. »James ist in Edinburgh?«
»Genau. Und er ist völlig verzweifelt. Er hat mir alles erzählt. Über deine Eltern und über deine Mum.« Ich wartete auf eine Antwort, aber Rhian war verstummt. »Rhian, warum hast du mir nichts gesagt?«
»Warum hast du nie über deine Eltern gesprochen?«, konterte sie.
Ich blinzelte die Tränen weg, die mir in den Augen brannten, als mein Blick auf das Foto meiner Familie auf dem Nachttisch fiel. »Weil sie zusammen mit meiner kleinen Schwester ums Leben gekommen sind, als ich vierzehn war, und es dazu nichts weiter zu sagen gibt.« Ich wusste nicht, ob das stimmte oder nicht.
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