Duddits - Dreamcatcher
Monsterkadaver. Er löste den improvisierten Verband, um sich die Wunde an seinem Bein noch einmal anzusehen, und in diesem Moment wurde ihm bewusst, welchen Song er da die ganze Zeit schon sang. Er hörte auf zu singen. Neuer Schnee, nur ein paar zarte Flocken, trudelte herab.
»Wieso singe ich das immer wieder?«, fragte er. »Wieso kriege ich diesen Scheißsong nicht aus dem Kopf?«
Er erwartete keine Antwort; solche Fragen stellte man vor allem deshalb laut, weil es schön war, die eigene Stimme zu hören (das war hier eine Todesstätte, vielleicht spukte es hier sogar), doch trotzdem erhielt er eine Antwort.
»Weil es unser Song ist. Das ist die Kommando-Hymne. Die spielen wir, wenn wir losschlagen. Wir sind die Cruise-Jungs.« Cruise? Hatte er richtig gehört? Cruise? Wie Tom Cruise? Na, vielleicht doch eher nicht.
Die Schüsse im Osten waren fast verklungen. Das Abschlachten der Tiere war fast beendet. Aber da waren Männer, eine lange Gefechtsreihe von Jägern, die grün oder schwarz und nicht orangefarben gekleidet waren, und die hörten sich diesen Song immer wieder an, während sie ihrer Arbeit nachgingen und die Beträge auf einer unglaublichen Schlachterrechnung in die Höhe trieben: I rode a tank, held a general’s rank, when the blitzkrieg raged and the bodies stank … Pleased to meet you, hope you guess my name.
Was ging denn hier vor? Nicht in der wilden, wundervollen, wahnsinnigen Außenwelt, sondern in seinem eigenen Kopf? Er hatte sein ganzes Leben lang – zumindest seit er Duddits kannte – blitzartige Einsichten gehabt, so etwas aber hatte er noch nie erlebt. Was war das? War es mal an der Zeit, sich näher mit dieser neuen, effektiven Methode, die Linie zu sehen, zu beschäftigen?
Nein. Nein, nein, nein.
Und wie um ihn zu verspotten, dazu der Song in seinem Kopf: General’s rank, bodies stank.
»Duddits!«, rief er hinein in den immer grauer werdenden Spätnachmittag; und Schneeflocken segelten wie Federn aus einem geplatzten Kissen hernieder. Ein Gedanke kämpfte darum, geboren zu werden, aber er war zu groß, viel zu groß.
»Duddits!«, schrie er noch einmal mit seiner anfeuernden Eiermannstimme, und eines verstand er jetzt durchaus: Der Luxus des Selbstmords war ihm nun verwehrt. Und das war das Allerschrecklichste daran, denn diese seltsamen Gedanken – I shouted out who killed the Kennedys – rissen ihn fast entzwei. Verwirrt und verängstigt und ganz allein im Wald, fing er wieder an zu weinen. Bis auf Jonesy waren seine Freunde alle tot, und Jonesy war im Krankenhaus. War ein Filmstar im Krankenhaus bei Mr. Gray.
»Was soll das heißen?«, stöhnte Henry. Er hielt sich die Schläfen (er fühlte sich, als würde sein Kopf anschwellen, immer mehr anschwellen), und seine rostigen alten Skistöcke baumelten lose an den Handschlaufen wie abgebrochene Propellerblätter. »Herrgott, was soll das HEISSEN?«
Und nur der Song antwortete ihm: Pleased to meet you! Hope you guess my name!
Nur der Schnee: rot vom Blut der abgeschlachteten Tiere, und sie lagen überall, ein Dachau der Hirsche und Rehe und Waschbären und Kaninchen und Wiesel und Bären und Waldmurmeltiere und –
Henry schrie, hielt sich den Kopf und schrie so laut und so heftig, dass er sich einen Moment lang sicher war, ohnmächtig zu werden. Dann wich seine Benommenheit allmählich, und er schien wieder klar denken zu können, zumindest vorläufig. Ihm blieb ein strahlend helles Bild von Duddits, wie er war, als sie ihn kennengelernt hatten, Duddits, nicht im Licht eines Blitzkriegswinters wie in dem Stones-Song, sondern im unscheinbaren Licht eines bewölkten Oktobernachmittags, Duddits, wie er mit seinen manchmal so weisen Chinesenaugen zu ihnen hochgeschaut hatte. Mit Duddits, das war unsere beste Zeit, hatte er zu Pete gesagt.
»Was mahn?«, sagte Henry jetzt. »Pass nich?«
Nein, pass nich. Dreh ihn um und zieh ihn andersrum an.
Matt lächelnd (obwohl seine Wangen noch feucht von den Tränen waren, die anfingen zu gefrieren), folgte Henry auf den Skiern weiter der sich windenden Spur des Schneemobils.
10
Zehn Minuten später kam er zu dem umgestürzten Wrack des Scouts. Mit einem Mal wurden ihm zwei Dinge bewusst: dass er jetzt doch einen Bärenhunger hatte und dass sich Essen im Auto befand. Er hatte die hierher und von hier fort führenden Spuren gesehen und hatte keinen Natty Bumppo gebraucht, um zu wissen, dass Pete die Frau allein gelassen hatte und zum Scout zurückgegangen war. Und er brauchte
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