Duddits - Dreamcatcher
kümmere dich um Duddits! Sorg dafür, dass er aufhört zu weinen!«
»Genau«, sagt Pete. Er schaut zu Richies Kopf hinüber, zu dem letzten toten, trotzigen Blick, und sieht dann mit zuckendem Mund weg. »Da kriegt man echt die Motten.«
»Wie quietschende Kreide auf der Tafel«, murmelt Jonesy. Sein Gesicht ist sehr käsig und sticht vom Orange seiner neuen Jacke ab. »Sorg dafür, dass er aufhört, Biber.«
»W-W-W …«
»Stell dich nicht an! Sing ihm das Lied vor!«, ruft Henry. Er spürt, wie ihm die Jauche in die Schuhe sickert. »Das Wiegenlied, das verdammte Wiegenlied!«
Für einen Moment guckt der Biber, als verstünde er immer noch nicht, aber dann klärt sich sein Blick ein wenig, und er sagt: »Ah!« Er geht schleppend zu der Böschung, auf der Duddits sitzt, seine knallgelbe Lunchbox umklammert und so heult wie an dem Tag, als sie ihn kennengelernt haben. Henry sieht flüchtig, dass um Duddits’ Nasenlöcher getrocknetes Blut klebt, und um die linke Schulter hat er einen Verband. Etwas ragt daraus hervor, etwas, das wie weißes Plastik aussieht.
»Duddits«, sagt der Biber und steigt die Böschung hoch. »Duddie, Kleiner, nicht. Nicht mehr weinen, guck nicht mehr hin, das ist nichts für dich, das ist viel zu krass …«
Erst reagiert Duddits nicht und heult einfach weiter. Henry denkt: Er hat so lange geweint, dass er Nasenbluten davon bekommen hat. Das erklärt das Blut. Aber was ist das für ein weißes Ding, das ihm da aus der Schulter ragt?
Jonesy hält sich jetzt tatsächlich die Ohren zu. Pete hat sich eine Hand auf den Kopf gelegt, als wollte er verhindern, dass er platzt. Dann nimmt Biber Duddits in die Arme, genau wie ein paar Wochen zuvor, und fängt mit dieser hohen, klaren Stimme zu singen an, die man bei einem Wuschel wie dem Biber nie erwartet hätte.
»Guten Abend, gute Nacht, mit Rosen bedacht …«
Und o Wunder aller Wunder: Duddits beruhigt sich.
Aus dem Mundwinkel heraus fragt Pete: »Wo sind wir, Henry? Wo zum Henker sind wir hier?«
»In einem Traum«, sagt Henry, und mit einem Mal sind die vier wieder zurück unter dem Ahornbaum vor ihrer Hütte, knien dort gemeinsam, nur mit Unterwäsche bekleidet, und bibbern in der Kälte.
»Was?«, fragt Jonesy. Er macht seine Hand los, um sich den Mund abzuwischen, und als der Kontakt zwischen ihnen aufgehoben wird, ist die Realität plötzlich wieder da. »Was hast du gesagt, Henry?«
Henry spürt, wie sich die Gedanken der anderen zurückziehen, spürt es wirklich und denkt: Wir sind dafür nicht gemacht, keiner von uns. Manchmal ist es besser, allein zu sein.
Ja, allein. Allein mit seinen Gedanken.
»Ich hatte einen Albtraum«, sagt Biber. Er scheint es eher sich selbst als den anderen zu erklären. Ganz langsam, als würde er immer noch träumen, zieht er den Reißverschluss einer seiner Jackentaschen auf, wühlt darin herum und bringt einen großen Lutscher, einen Tootsie Pop, zum Vorschein. Statt ihn auszupacken, steckt sich Biber den Stiel in den Mund, dreht ihn mit den Lippen hin und her und nagt und knabbert daran. »Ich habe geträumt, dass …«
»Lass mal«, sagt Henry und schiebt sich die Brille hoch, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war. »Wir wissen alle, was du geträumt hast.« Wir waren ja schließlich auch dabei, liegt es ihm auf der Zunge, aber er spricht es nicht aus. Er ist zwar erst vierzehn, aber schon klug genug, um zu wissen, dass sich etwas, das gesagt wurde, nicht ungesagt machen lässt. Gelegt ist gelegt, sagen sie beim Rommé immer, wenn jemand beim Ausspielen Blödsinn macht. Würde er es sagen, dann müssten sie sich damit auseinandersetzen. Wenn er es nicht sagt, dann … dann geht es vielleicht einfach weg.
»Ich glaube sowieso nicht, dass es dein Traum war«, sagt Pete. »Ich glaube, es war Duddits’ Traum, und wir haben alle …«
»Es ist mir scheißegal, was du glaubst«, sagt Jonesy in so scharfem Tonfall, dass es sie alle erschreckt. »Es war nur ein Traum, und ich werde nicht mehr daran denken. Wir werden alle nicht mehr daran denken, nicht wahr, Henry?«
Henry nickt augenblicklich.
»Gehen wir wieder rein«, sagt Pete. Er sieht sehr erleichtert aus. »Mir frieren die Füße ab.«
»Eins noch«, sagt Henry, und sie schauen ihn alle ängstlich an. Immer wenn sie einen Anführer brauchen, schlüpft Henry in diese Rolle. Und wenn es euch nicht passt, wie ich das mache, denkt er trotzig, kann das ja ein anderer übernehmen. Denn so einfach ist das nicht, das kann ich euch
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