Duddits - Dreamcatcher
denn die Tür ihres Zimmers steht offen. Wie auch die Tür am anderen Ende des großen Raums, die Haustür. Kein Wunder, dass ihnen kalt ist; es zieht wie Hechtsuppe. Da Henry jetzt seine Augen aufgesetzt hat (so denkt er darüber), sieht er den Traumfänger da draußen im kalten Novemberwind tanzen, der zur offen stehenden Haustür hereinkommt.
»Wo ist Duddits?«, fragt Jonesy mit benommener Ichträume-noch-Stimme. »Ist er mit Biber rausgegangen?«
»Der ist in Derry, du Dummkopf«, sagt Henry, steht auf und zieht sich sein Thermo-Unterhemd an. Und eigentlich kommt ihm Jonesy auch nicht wie ein Dummkopf vor; er hat auch so das Gefühl, als wäre Duddits gerade eben hier bei ihnen gewesen.
Das war der Traum, denkt er. Ich habe von Duddits geträumt. Er saß auf der Böschung. Er hat geweint. Es tat ihm leid. Das hat er nicht gewollt. Wenn jemand das gewollt hat, dann wir.
Und er hört immer noch jemand weinen. Das Weinen weht, vom Wind getragen, zur Haustür herein. Aber es ist nicht Duddits; es ist der Biber.
Sie verlassen im Gänsemarsch das Zimmer, ziehen sich dabei schnell etwas über und halten sich nicht damit auf, Schuhe anzuziehen.
Eine gute Neuigkeit: Nach der Blechstadt aus Bierbüchsen auf dem Küchentisch (und einer ähnlichen Vorstadt auf dem Couchtisch) zu urteilen, würde es mehr als nur ein paar offen stehende Türen und flüsternde Kinder brauchen, um Bibers Dad zu wecken.
Die große Eingangsstufe aus Granit fühlt sich unter Henrys nur in Strümpfen steckenden Füßen eiskalt an, auf eine so vollkommen rücksichtslose Weise kalt, wie der Tod kalt sein muss, aber das merkt er kaum.
Er sieht den Biber sofort. Er kniet am Fuß des Ahornbaums mit dem Hochsitz im Geäst, als würde er beten. Seine Beine sind nackt, und er ist barfuß, das sieht Henry. Er hat seine Motorradjacke an, und an den Ärmeln flattern, wie Piratenschmuck, die dort festgeknoteten orangefarbenen Tücher, auf denen sein Vater bestanden hat, als Biber unbedingt so etwas Bescheuertes und Unwaidmännisches wie diese Jacke im Wald tragen wollte. Sein Aufzug sieht ziemlich lustig aus; an seinem gequält blickenden Gesicht hingegen, das zu der fast nackten Baumkrone des Ahorns hochschaut, ist nichts lustig. Die Wangen des Bibers sind klatschnass von Tränen.
Henry rennt los. Pete und Jonesy laufen hinterher. Ihr Atem steht in weißen Schwaden in der kalten Morgenluft. Der mit Nadeln übersäte Erdboden unter Henrys Füßen ist fast so hart und kalt wie die Eingangsstufe aus Granit.
Er fällt vor Biber auf die Knie, ängstlich und irgendwie auch eingeschüchtert angesichts dieser Tränen. Denn der Biber vergießt nicht einfach nur ein, zwei männliche Tränen, wie es dem Helden im Film gestattet ist, wenn sein Hund oder seine Freundin stirbt – nein, aus Biber strömen buchstäblich die Niagarafälle. Klar glitzernde Rotze hängt ihm in zwei Perlenschnüren aus der Nase. So was sieht man im Kino auch nie.
»Krass«, sagt Pete.
Henry wirft ihm einen tadelnden Blick zu, sieht dann aber, dass Pete gar nicht Biber anguckt, sondern an ihm vorbei zu einer dampfenden Lache Erbrochenem. Darin lässt sich Mais vom Vorabend erkennen (was die Verpflegung auf der Jagd angeht, ist Lamar Clarendon ein vehementer Verfechter der Vorzüge von Dosengerichten) und auch Fasern des Brathähnchens vom Vorabend. Henry dreht sich der Magen um. Und als sich seine Übelkeit eben wieder legt, reihert Jonesy los. Es klingt wie ein lauter, nasser Rülpser. Die Kotze ist braun.
»Krass!«, schreit Pete diesmal fast.
Biber scheint das nicht mal zu bemerken. »Henry!«, sagt er. Seine Augen sehen unter all den Tränen groß und unheimlich aus. Sie scheinen durch Henrys Gesicht hindurch in die Privatgemächer hinter seiner Stirn zu spähen.
»Schon gut, Biber. Du hast schlecht geträumt.«
»Klar, ein Albtraum.« Jonesys Stimme klingt belegt. Er hat immer noch Kotze in der Kehle. Er versucht sie mit einem ratschend klingenden Räuspern frei zu bekommen, das sich irgendwie noch schlimmer anhört als das, was er zuvor gemacht hat, bückt sich dann und spuckt. Die Hände stützt er dabei auf die Oberschenkel seiner langen Unterhose, und sein nackter Rücken ist von Gänsehaut überzogen.
Biber nimmt keine Notiz von Jonesy und auch nicht von Pete, als der sich auf der anderen Seite neben ihn kniet und plump und zögerlich einen Arm um Bibers Schultern legt. Biber sieht weiterhin nur Henry an.
»Sein Kopf war ab«, flüstert Biber.
Jonesy kniet sich auch
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