Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Duddits - Dreamcatcher

Duddits - Dreamcatcher

Titel: Duddits - Dreamcatcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Er bemerkt, dass er immer noch den Arm um die nackten Schultern des Jungen gelegt hat, und lässt ihn los.
    Sofort verdüstert sich das Gesicht des Jungen, nicht vor Angst oder Bockigkeit, sondern schlicht vor Traurigkeit. Tränen treten ihm in die so erstaunlich grünen Augen und laufen in sauberen Spuren die schmutzigen Wangen hinab. Er nimmt Bibers Hand und legt sich Bibers Arm wieder um die Schultern. »Iehr, Iehr!«, sagt er.
    Biber schaut ihn entsetzt an. »Das ist das Einzige, was mir meine Mutter je vorgesungen hat«, sagt er. »Ich bin immer gleich eingeschlafen.«
    Henry und Jonesy schauen einander an und brechen in Gelächter aus. Keine gute Idee, das jagt dem Jungen möglicherweise Angst ein, und dann fängt er wieder mit diesem schrecklichen Weinen an, aber sie können es sich einfach nicht verkneifen. Und der Junge weint auch nicht. Vielmehr lächelt er Henry und Jonesy an, ein heiteres Lächeln, das zwei Reihen dicht gedrängter Zähne zeigt, und schaut dann wieder Biber an. Weiter hält er Bibers Arm fest um seine Schultern gelegt.
    »Eeehr!«, befiehlt er.
    »Ach, was soll’s, sing es halt noch mal«, sagt Pete. »Den Teil, den du kennst.«
    Biber singt es schließlich noch dreimal, bis der Junge ihn damit aufhören lässt und den Jungs gestattet, ihm seine Hose und das zerrissene Trikot anzuziehen, das mit der Nummer von Richie Grenadeau drauf. Henry hat diesen schwermütigen Liederfetzen nie vergessen, und später ist er ihm bei den merkwürdigsten Gelegenheiten wieder eingefallen: nachdem er bei einer Verbindungsparty an der University of New Hampshire seine Unschuld verloren hatte, während ein Stockwerk tiefer Smoke on the Water aus den Boxen dröhnte; nachdem er die Zeitung auf der Seite mit den Nachrufen aufgeschlagen hatte und Barry Newman dort recht nett über seinem Doppel- und Vierfachkinn hatte lächeln sehen; als er seinen Vater gefüttert hatte, der im absolut unfairen Alter von dreiundfünfzig an Alzheimer erkrankt war, und sein Vater darauf bestanden hatte, Henry sei jemand namens Sam. »Ein echter Mann bezahlt seine Schulden, Sammy«, hatte sein Vater gesagt, und als er den nächsten Löffel Haferflocken in den Mund nahm, lief ihm Milch übers Kinn. Bei solchen Gelegenheiten fällt ihm das, was er Bibers Wiegenlied nennt, immer wieder ein und tröstet ihn vorübergehend. Kein Prall, kein Spiel.
    Schließlich haben sie den Jungen bis auf einen roten Turnschuh fertig angezogen. Er versucht, ihn sich selbst anzuziehen, hält ihn dabei aber falsch herum.
    Er ist nun wirklich ein verkorkster junger Amerikaner, und für Henry ist es unbegreiflich, wie die drei großen Jungs ihn so drangsalieren konnten. Selbst einmal von dem Weinen abgesehen, einem Weinen, wie Henry es noch nie gehört hat – weshalb sollte man so fies sein?
    »Lass mich mal machen, Mann«, sagt Biber.
    »Was mahn?«, fragt der Junge so lustig verdutzt, dass Henry, Jonesy und Pete wieder in Gelächter ausbrechen. Henry weiß, dass man nicht über Behinderte lachen soll, aber er kann es sich einfach nicht verkneifen. Der Junge hat einfach von Natur aus ein lustiges Gesicht, wie eine Zeichentrickfigur.
    Biber lächelt nur. »Deinen Schuh, Mann.«
    »Pass nich?«
    »Nein, den kannst du so rum nicht anziehen, das ist imposible, Señor.« Biber nimmt ihm den Turnschuh ab, und der Junge sieht sehr aufmerksam zu, wie Biber seinen Fuß hineinschiebt, die Schnürsenkel vor der Schuhzunge straff zieht und den Schuh dann mit einer Schleife zubindet. Als er damit fertig ist, schaut sich der Junge noch für einen Moment die Schleife an und sieht dann zu Biber hoch. Dann legt er Biber die Arme um den Hals und setzt ihm einen dicken, lauten Schmatz auf die Wange.
    »Wenn ihr das irgendwem erzählt …«, setzt Biber an, lächelt dann aber eindeutig erfreut.
    »Ja, ja, dann redest du kein Wort mehr mit uns, du blöder Wichser«, sagt Jonesy grinsend. Er hat die Lunchbox mitgebracht, kniet sich jetzt vor den Jungen und hält sie ihm hin. »Ist das deine?«
    Der Junge grinst vergnügt, als würde er einen alten Freund wiedertreffen, und schnappt sich die Box. »Uubi-uhbi-duh, wo bissuh?«, singt er. »Wih ham-etz wassu tun!«
    »Stimmt«, sagt Jonesy. »Wir haben wirklich was zu tun. Wir müssen dich jetzt schnell nach Hause bringen. Douglas Cavell, so heißt du doch, oder?«
    Der Junge hält sich mit beiden schmutzigen Händen die Lunchbox vor die Brust. Dann knutscht er sie, genau wie er Bibers Wange geknutscht hat. »Ich Duddits!«,

Weitere Kostenlose Bücher