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Duddits - Dreamcatcher

Duddits - Dreamcatcher

Titel: Duddits - Dreamcatcher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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liegen einige platt getretene weiße Kaulquappen, die Henry als Präser erkennt. An der Wand genau gegenüber hängt ein Schwarzes Brett. Daran hängen eine Landkarte von Nord-Neuengland und das Polaroidfoto einer Frau, die ihren Rock hochhält. Ihre Muschi kann man allerdings nicht sehen, nur eine weiße Unterhose. Und sie ist auch kein Schulmädchen mehr. Sie ist alt, mindestens dreißig.
    »Gütiger Gott«, sagt Pete schließlich und wirft Jonesy einen empörten Blick zu. »Und deshalb sind wir hierhergekommen?«
    Für einen Moment ist Jonesy in die Defensive gedrängt, doch dann grinst er und zeigt mit dem Daumen hinter sich. »Nein«, sagt er. »Wegen dem da sind wir hierhergekommen.«

6
    Henry wurde durch eine erstaunliche und völlig unerwartete Erkenntnis aus seinen Erinnerungen gerissen: Er hatte fürchterliche Angst, und das schon seit geraumer Zeit. Etwas Neues lauerte knapp unterhalb seiner Bewusstseinsschwelle, zurückgedrängt durch die lebhaften Erinnerungen daran, wie sie Duddits kennengelernt hatten. Und jetzt war es mit einem Furcht einflößenden Schrei vorgestürmt und hatte sich bemerkbar gemacht.
    Er blieb schlitternd mitten auf der Straße stehen, mit den Armen fuchtelnd und die Balance haltend, um nicht wieder in den Schnee zu fallen, und stand dann einfach nur da, keuchend und mit großen Augen. Was jetzt? Er war nur noch zweieinhalb Meilen von ihrer Hütte entfernt, war schon fast da, also: was, um Himmels willen, jetzt?
    Da ist eine Wolke, dachte er. Irgendeine Art von Wolke, das ist es. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich kann es spüren – in meinem ganzen Leben habe ich noch nichts so deutlich gespürt. Zumindest seit ich erwachsen bin. Ich muss von der Straße runter. Ich muss hier weg. Ich muss raus aus diesem Film. In der Wolke ist ein Film. Einer dieser Filme, die Jonesy immer guckt. Ein gruseliger.
    »Das ist Blödsinn«, murmelte er und wusste doch, dass das nicht stimmte.
    Er hörte das näher kommende Wespengesumm eines Motors. Es kam aus Richtung ihrer Hütte und näherte sich schnell, der Motor eines Schneemobils, bestimmt das Arctic Cat, das sie im Camp hatten … aber es war auch die rotschwarze Wolke, in der der Film ablief, eine entsetzliche schwarze Kraft, die auf ihn zuraste. Das war nicht einfach nur ein Klick in seinem Kopf; es war wie die Faust eines versehentlich Beerdigten, die an den Sargdeckel pochte.
    Für einen Augenblick war Henry starr vor hundert kindlichen Schrecken, Dinge unter dem Bett und in Särgen, sich windende Würmer unter umgedrehten Steinen und das pelzige Gelee, das von einer längst zu Tode gebackenen Ratte übrig geblieben war, als sein Vater damals den Herd von der Wand gerückt hatte, um sich den Stecker anzusehen. Und vor Schrecken, die alles andere als kindlich waren: sein Vater, wie er sich in seinem eigenen Zimmer nicht mehr zurechtfand und vor Angst schrie; Barry Newman, der mit entsetztem Gesichtsausdruck aus Henrys Sprechzimmer stürmte, weil man ihn aufgefordert hatte, sich etwas zu stellen, das er sich nicht eingestehen wollte oder konnte; um vier Uhr früh mit einem Glas Scotch in der Hand dazusitzen, die ganze Welt wie eine Steckdose, aus der kein Saft mehr kam, sein eigenes Hirn wie eine tote Steckdose, und, o Baby, noch tausend Jahre bis zum Morgengrauen, und alle Wiegenlieder abgesagt. Das alles war in der rotschwarzen Wolke, die auf ihn zuraste wie das fahle Pferd aus der Bibel, das alles und noch mehr. Alles Böse, das er je gemutmaßt hatte, kam jetzt auf ihn zu, nicht auf einem fahlen Pferd, sondern auf einem alten Schneemobil mit rostiger Motorhaube. Nicht der Tod, sondern etwas Schlimmeres als der Tod. Es war Mr. Gray.
    Runter von der Straße!, schrie es in seinem Kopf. Sofort runter von der Straße! Versteck dich!
    Für einen Moment konnte er sich nicht bewegen – seine Füße waren schwer wie Blei. Die Wunde in seinem Oberschenkel, die der Blinkerhebel hinterlassen hatte, brannte fürchterlich. Jetzt wusste er, wie sich ein Hirsch fühlen musste, der im Scheinwerferlicht erstarrte, oder ein Backenhörnchen, das vor einem näher kommenden Rasenmäher dumm auf und ab hüpfte. Die Wolke hatte ihm die Fähigkeit geraubt, sich zu helfen. Er stand dort, wo sie jeden Moment langrasen würde, wie versteinert da.
    Was ihn dann doch dazu brachte, sich zu bewegen, waren merkwürdigerweise ausgerechnet seine Selbstmordabsichten. Hatte er sich in fünfhundert schlaflosen Nächten zu dieser Entscheidung durchgerungen, nur um sich

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