Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
in die Stube, obwohl man von den Fenstern aus einen hervorragenden Blick in die Gasse gehabt hätte. Vielleicht dachte niemand daran; vielleicht zogen es die Zuschauer auch vor, näher am Geschehen zu sein, als es die kleinen Fenster zugelassen hätten. Die Männer und Frauen draußen pfiffen und klatschten. Janas Augen weiteten sich, als die Schreie abrupt verstummten und mit ihnen das erwartungsvolle Lärmen der Menge. Ihre Lippen formten Sie ist tot, während das Rumpeln der Karrenräder zu hören war. Dann begannen die Schreie wieder: Man hatte sie offensichtlich aus der Bewusstlosigkeit aufgeweckt. Der Karren schien sich mit einer Langsamkeit zu nähern, die Messer Maurizios Versicherung Hohn sprach. Plötzlich war er doch unter dem Fenster oder in einer Position, in der der Schall am besten zu uns in die Stube dringen konnte. Janas Kiefermuskeln spannten sich. Die Schreie übertönten den Krach der Zuschauer mühelos und steigerten sich nach einer wie überraschten Pause zu einem lang anhaltenden Heulen, und ich glaubte zu verstehen, wie eine Männerstimme bravo, bravo! rief, aber ich hoffte, mich verhört zu haben; die Unglückliche auf dem Karren heulte wie die Verdammten der Hölle, die Zuschauer heulten vor Begeisterung mit, und die Szene hörte sich genauso an wie der Beifall für eine Gruppe von Schauspielern, die ihr Publikum mit erlesenen Künsten begeistern. Nur eine Sklavin, die ihren Herrn vergiftet hatte und auf dem langen Weg zur Hinrichtungsstätte vor aller Augen zerfleischt wurde – Wie kann es eine Schutzpatronin für Mörder geben? – und derem unsäglichen Sterben die Menschen applaudierten. Was hatte er getan, das sie so weit getrieben hatte, ihn zu vergiften, und wie war sein Ende gewesen? Oder wie hoch die versprochene Belohnung für einen Auftragsmord?
– Aber wenn es dich gibt, Santa Verena, dann mach ihr ein Ende. Das Heulen brach ab und schwoll wieder an, die Stimme heiser und zerrissen wie der Körper, aus dem sie kam. Ich hörte, wie Jana etwas auf Polnisch flüsterte, das ich als Gebet erkannte. Der Karren ratterte weiter; ein dünnes Geräusch wie von rasselnden Ketten brachte einen Schwall Weihrauch mit zu den Fenstern herein und das kaum hörbare monotone Leiern eines Priesters. Ich starrte Jana an, die die Augen geschlossen hatte und die Lippen bewegte. Die Zuschauer johlten. Die Verurteilte schrie. Der gemarterte Körper hielt seine Seele fest, und die heilige Verena machte keine Anstalten einzuschreiten.
Die Hinrichtung schien nicht nur uns in der Stadt festgehalten zu haben; oder sie hatte zusätzliche Gäste angelockt. Der Wirt der Herberge tat sich jedenfalls schwer damit, noch weitere Schlafplätze in seinem Lager unter dem Dach auszugeben – zumindest für die Männer. Für Stepan Tredittore und mich blieb nur die Wahl zwischen der Schankstube und dem Stall, in dem jedoch schon die Knechte und Mägde der anderen Reisenden nächtigten. Im Frauenlager gab es genügend leere Plätze; doch der Wirt war ein gottesfürchtiger Mann und von Messer Maurizio sicherlich in die besonderen Verhältnisse zwischen Jana und mir eingeweiht. Ich gab nach und suchte mir mein Lager in der Schankstube, wo sich Stepan Tredittore bereits zusammengerollt hatte – nicht ohne ausgiebig über diese Unbequemlichkeit zu maulen und dabei den Anschein gebend, als wäre auch dafür Jana verantwortlich. Ich streckte mich auf dem Boden neben dem glimmenden Feuerplatz aus und versuchte, Schlaf zu finden. Stattdessen hörte ich das leichtfüßige Hin und Her im nachtdunklen Gebäude, mit dem einige der Kaufleute zu den jungen Mädchen in ihrer Dienerschar fanden und umgekehrt. Es war eine Verschwendung der Schlafplätze und außerdem eine Zumutung, Ohrenzeuge der hastigen Kopulationen unter der Treppe, im Vorratskeller und – in einem Fall – in der Küche der Herberge zu werden. Mein Ärger hinderte mich noch mehr als der harte Boden und das Getrappel daran, in den Schlaf zu sinken. Schließlich beendete ich den Versuch, hörte auch damit auf, Tredittores sanftes Schnarchen mit Zischeln und Pfeifen unterbinden zu wollen, setzte mich auf eine der Bänke und dachte nach.
Vor neun Jahren hatte ich aufgehört zu leben; der Tod meiner Frau Maria hatte auch meinem Dasein als Mitglied der menschlichen Gesellschaft ein Ende gesetzt. Vor zwei Jahren war ich dem Leben wieder zurückgegeben worden: durch Jana Dlugosz, die in den Wirren eines Mordfalls während der Fürstenhochzeit zu Landshut auf meinen
Weitere Kostenlose Bücher