Dübell, Richard - Eine Messe für die Medici
Hof gekommen war, um mich vor den Mördern zu warnen. Sie war lebhaft, wo ich verschlossen war, sie hatte ihre eigenen Gedanken und pflegte sie, ohne zu zögern, zu realisieren, sie neigte dazu, mich stets zu überraschen, sie trug das Herz auf der Zunge und hatte meines, obwohl es unter den tiefen Schichten jahrelanger Trauer begraben lag, auf Anhieb gefunden – und sie hatte mir mitten in einem trüben November mit ihrer Liebe das Licht wiedergegeben, das in meinem Leben erloschen war. Als sie Landshut verließ, um einem Handel mit Seidenstoffen in Ulm nachzugehen, brauchte ich nur wenige Wochen, um mir klar zu werden, dass mein Platz an ihrer Seite war. Ich, der ich bis dahin keinen Augenblick die Führung meines kleinen Handelshofes aus der Hand gegeben hatte, überschrieb die Verantwortung meinem neuen Geschäftspartner Sebastian Low – der darüber noch immer erstaunt war, wie ich seinem letzten Brief entnehmen konnte – und folgte Jana, sobald die Witterung es zuließ.
Seitdem war ich ihr Begleiter gewesen und hatte Hunderte von Malen neugierigen Herbergswirten, misstrauischen Geldverleihern, kaltherzigen Geistlichen und den bigotten Ehefrauen von Janas Geschäftspartnern erklären müssen, dass wir es nicht als nötig erachteten, unserer Liebe durch die Sanktion einer Heirat Legitimation zu verschaffen. Was ungesagt blieb, war, dass ich viel zu große Angst vor einem weiteren Verlust hatte und mein Aberglaube viel zu groß war, als dass ich mich nochmals vor den Traualtar gewagt hätte. Ungesagt war es bislang auch Jana gegenüber geblieben; da sie mich trotz ihrer stets direkten Art niemals fragte, ahnte ich, dass es ihr dennoch bewusst war. Die Situation erschuf viele ungute Momente zwischen uns: ausgelöst durch die Missbilligung, die Jana manches Geschäft kostete, und durch den Umstand, dass wir mehr Nächte getrennt als gemeinsam verbrachten, sobald wir gezwungen waren, in Herbergen zu übernachten; aber auch dadurch, dass ich mich immer öfter als Janas Verwalter oder älterer Geschäftsfreund darstellte und in dieser Rolle lächerlich wirkte. Ich war mittlerweile Ende vierzig, Jana Mitte dreißig; ich wirkte wie ein alternder Versager, der nur deshalb nicht die Armensuppe eines Klosters schlürfte, weil er sich bereit fand, für eine jüngere Frau den geschäftlichen Popanz zu spielen. Weitere Zwiste folgten: wann immer die Pferde mit mir durchgingen und ich mich in Janas Geschäftsabschlüsse einmischte; oder wenn ihre Geschäftspartner in Verkennung der Situation mich als den Herrn der Lage erachteten und ich es nicht übers Herz brachte, in den Verhandlungen nicht den großen Kaufmann zu spielen. Unsere Phasen der gegenseitigen Verstimmung waren aufreibend und brachen uns jedes Mal das Herz; aber im Grunde genommen waren sie nur die Ausbrüche zweier unterschiedlicher Charaktere, die einen gemeinsamen Weg haben, und flammten ebenso schnell auf, wie sie verloschen. Doch seit Stepan Tredittores Eintreffen in Venedig, kurz nachdem wir selbst dort angekommen waren, hatten sich die immer wieder aufflackernden Streitigkeiten in einen Dauerzustand zähneknirschenden Waffenstillstands verändert, in dem beim geringsten Anlass Scharmützel emporflammten, denen langes, eisiges Schweigen gefolgt war.
Seit wir vor einer Woche von Venedig aufgebrochen waren, war Jana womöglich noch verbissener und gereizter geworden. Sie hatte es geschafft, dass die gesamte Reisegesellschaft die Augen verdrehte, sobald sie nur den Mund auftat, und ich redete mir vergeblich ein, dass mir dieser Umstand nichts ausmachte.
Mir war nur schleierhaft, wozu wir – nach Janas guten Geschäften in Venedig – nun ausgerechnet noch nach Florenz reisen mussten. Selbst mit meinen Lateinkenntnissen, die von der heutigen Sprache im ehemaligen Reich des Cäsar und Augustus so weit entfernt waren, dass ich nur Fetzen von Worten verstand, hatte ich von der Situation südlich der Alpen gehört: von den Fehden, mit denen die Republiken sich bekriegten; von den hin und her ziehenden Söldnerscharen, deren Anführer jeden ihrer Auftraggeber betrogen und deren Einheiten ihren aufgestauten Zorn an den Bewohnern schutzloser Dörfer abreagierten; den schwelenden Aufständen, die immer wieder in Attentaten gipfelten und schreckliche Strafgerichte nach sich zogen; den fanatischen Mönchen, die von kommenden Höllengerichten und Sintfluten predigten und ihre Herde aufforderten, ihre weltlichen Herrscher abzuschlachten; den Schädelstätten, die
Weitere Kostenlose Bücher