Duell der Leidenschaft
bereit, die Augen hatten einen erbarmungslosen Ausdruck, und niemand hätte die beiden aufhalten können.
Jean Pierre reagierte mit einem entsetzten Ausdruck. Er fluchte und blickte in Panik zu seinen Wachen, riss den Mund auf und stieß einen durchdringenden Schrei aus. »Feuert eure Waffen ab! Feuert schon! Erschießt sie doch, um Himmels willen!«
In einer fließenden Bewegung verließ Sonia ihren Platz, zog das Taschenmesser, stellte sich zu Jean Pierre und drückte ihm die gefährlich scharfe Klinge an seine sichtbar pulsierende Halsschlagader.
»Wenn sie das Feuer eröffnen, sind Sie ein toter Mann«, erklärte sie entschlossen. »Widerrufen Sie den Befehl. Sofort, mon cher.«
Achtundzwanzigstes Kapitel
An einem schwülen Morgen acht Tage später verließen Kerr und Sonia Vera Cruz. Zusammen mit Tante Lily begaben sie sich an Bord eines mit Mais und mehreren Tonnen einer Art von weißem Erz beladenen spanischen Handelsschiffs. Es war Tremont, der sie zum Hafen brachte und dafür eine hässliche kleine Kutsche benutzte, eine sogenannte volante, die er sich von ihrem Gastgeber ausgeliehen hatte - einem Gentleman, der trotz seiner republikanischen Verbindungen noch immer seinen spanischen Titel benutzte.
Dieser Marquis, ein ältlicher, großer, hagerer Mann mit gepflegtem weißem Spitzbart, war offenbar ein Freund von Tremont, der Bekannte in den Washingtoner Botschaftskreisen hatte. Er war auch sehr schnell für Tante Lily zu einer Eroberung geworden. Tadellos gekleidet, wenn auch mit einer Spur Goldspitze zu viel an seiner Weste, überreichte er ihr und Sonia für die Reise Buketts aus Rosen, Verbenen und Oleander, die mit meterlangen Bändern gebunden waren, und entschuldigte sich vielmals dafür, dass nicht mehr seiner Freunde und Bekannten gekommen waren, um sich von ihnen zu verabschieden.
Sonia war allerdings froh darüber, dass ihr weitere Ansprachen, Begrüßungsreden und Beteuerungen erspart blieben. Sie wollte nur noch nach Hause und möglichst bald die roten Sandhügel von Vera Cruz hinter sich lassen.
Diese Rückreise gestaltete sich jedoch als langwierig. Aus Angst vor Seeblockaden kamen weniger Dampfer aus den amerikanischen Häfen nach Mexiko, und da sie nicht länger als unbedingt nötig in Vera Cruz bleiben wollten, hatten sie eine Passage nach Havanna auf dem spanischen Segelschiff gebucht. Dennoch sollten sie in zwei Wochen den Zielhafen erreichen, dort auf einen Dampfer umsteigen und eine Woche später wieder an der Mündung des Mississippi angekommen sein.
So standen sie also an Deck, winkten dem Marquis und Tremont zu und trotzten der Sonne, um einen letzten Blick auf die schwarzen und roten Mauern des Forts San Juan de Ulua zu werfen, auf die kastenförmigen Häuser jenseits der Stadtmauer, auf die Kirchtürme und die wild flatternden zopilotes, die sich in den Dünen entlang der unglaublich blauen See um Aas stritten. Die Leinen wurden gelöst, die das Schiff gehalten hatten, das sich vom Dock entfernte und auf die offene See zusteuerte. Mit einem lauten Knall blähten sich die Segel, als sich der Wind in ihnen fing und das Schiff Fahrt aufnehmen ließ.
Tante Lily, die neben Sonia an der Reling stand, schloss die Augen und dankte stumm einer höheren Macht, gleichzeitig bekreuzigte sie sich. Als sie die Augen wieder aufschlug, schienen sie kräftiger zu strahlen als sonst. Sie drehte sich zu Sonia um, doch ihre Freudentränen versiegten, als sie das Gesicht ihrer Nichte betrachtete. »Wir werden bald wieder zu Hause sein, wo du deinen Papa und all deine Freundinnen sehen wirst, ma chere. Bist du denn gar nicht außer dir vor Freude?«
»Doch, das bin ich«, beteuerte sie und brachte ein Lächeln zustande. »Ich bin nur etwas müde, das ist alles.«
»Und auch ein bisschen traurig, nicht wahr? Es fällt einem immer schwer, neue Freunde zu verlassen, und ich bin mir sicher, du bist so wie ich der Meinung, dass Monsieur Tremont dazu zählt. Da war die gemeinsame Reise von New Orleans hierher, und dann war er so nett seit ... seit dieser Sache mit Jean Pierre.«
Diese wenigen Worte genügte, um alle Erinnerungen wach werden zu lassen: der Kerzenschein im Esszimmer, in dem es nach Knoblauch, Öl und karamellisiertem Zucker roch, die beiden Männer, die sich mit todbringenden Waffen gegenüberstanden, das Entsetzen und die Wut. Sonia hatte Jean Pierre töten wollen, als sie ihm das Taschenmesser an den Hals drückte. Der Wunsch war so stark gewesen, dass sie am ganzen Körper zu
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