Duell der Leidenschaft
vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Möglicherweise war es nur ihre Einbildung, weil sie das im Moment brauchte.
»Sonia, ma chere«, sagte Tante Lily in mitfühlendem Tonfall, als sie sich zu ihr herüberbeugte. »Ich glaube, wir sollten uns zurückziehen. Das ist kein Spektakel für eine Lady.«
Rouillard blickte sie an. »Das werde ich auf gar keinen Fall gestatten.«
»Aber unsere Anwesenheit kann unmöglich vonnöten sein.«
»Ganz im Gegenteil.« Sein Lächeln war voll kalter Gehässigkeit. »Es ist sogar unbedingt erforderlich.«
Sonia hatte so etwas bereits erwartet. Jean Pierre wollte, dass sie Zeuge dessen wurde, was er für Kerrs Ende hielt. Das war der wichtigste Sinn und Zweck seines Beharrens.
Dass es jedoch nicht der einzige Sinn und Zweck war, sollte sich schon bald heraussteilen.
»Sollten Sie nicht einen Schmied holen, damit er meinem Kontrahenten die Fessel abnimmt?«, fragte Tremont mit ernstem Tonfall und sah zu Jean Pierre.
»Das denke ich nicht.« Rouillard machte keinen Hehl daraus, wie köstlich er sich amüsierte. »Er bot mir an, sie zu tragen. Dann kann er das auch tun, wenn er gegen Sie kämpft.«
Der Captain der Wache kehrte mit einer Kiste unter dem Arm zurück, stellte sie nahe Rouillard auf den Tisch, öffnete den Verschluss und klappte den Deckel hoch. Tremont nahm eins der Rapiere und betrachtete die Klinge der Länge nach, dann sagte er: »Sie wollen doch damit nicht andeuten, ein Sieg wäre für mich nur möglich, wenn mein Gegner eine Erschwernis hat? «
Tremonts Tonfall nahm Jean Pierres Miene etwas von seinem Ausdruck höchster Zufriedenheit. »Gewiss nicht.
Aber warum sollte man auf einen Vorteil verzichten, wenn er einem geschenkt wird?«
»Der Fairness wegen«, antwortete Tremont, legte das erste Rapier zur Seite und hob das zweite hoch. »Der Ehre wegen.«
»Ach, deswegen. So etwas mag ja manchmal ganz nützlich sein, aber das ist nur hinderlich, wenn es um Leben und Tod geht.«
Sonia hörte aus der Stimme von Rouillard, dass er tödliche Absichten hegte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließen. In Panik suchte sie nach einer Möglichkeit, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen.
Tremont musterte Kerr, der breitbeinig dastand, während hinter ihm die Kette auf dem Boden lag. »Auf Leben und Tod geht es also? Was ist mit dem Prinzip, wer zuerst blutet?«
»Welchen Nutzen hätte das für mich?«, fragte Rouillard und lachte abrupt auf. Er warf einen flüchtigen Blick auf Kerr. »Dieser Kaintuck -Teufel wird mich niemals in Ruhe lassen. Mir ist es lieber, wenn ich ihn ein für alle Mal los bin.«
Tremont stieß ein kurzes Schnauben aus, dann drehte er sich mit dem Rapier in der Hand langsam um, bis dessen Spitze auf Jean Pierres Bauch zeigte. »Dieses Duell verstößt schon gegen genügend Regeln, da es ohne Vermittler stattfindet, außerdem ohne Sekundanten und ohne Arzt. Mehr ist nicht nötig.«
Jean Pierre betrachtete das Rapier und fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich bin kein Mörder«, antwortete Tremont ruhig. »Lassen Sie die Fessel entfernen oder tragen Sie Ihr Duell selbst aus.«
Tante Lily griff so fest nach Sonias Arm, dass sich die Fingernägel ins Fleisch bohrten. Doch Sonia bekam davon kaum etwas mit, da sie auf Jean Pierres Antwort wartete.
Der sah zwischen Kerr und Tremont hin und her. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»Ich versichere Ihnen, es ist mein Ernst.«
In Jean Pierres Augen blitzte der Ärger eines schwachen Mannes auf, der soeben eine Niederlage hatte einstecken müssen. »Wie Sie wollen. Es ist Ihr Todesurteil.«
Tremont legte das Rapier zurück in die Schachtel und lächelte düster. »Oder auch nicht«, gab er zurück.
Die Zeit verlor an Bedeutung. Die Ereignisse stürmten mit einem alarmierenden Tempo voran, auch wenn sie zugleich Ewigkeiten zu benötigen schienen, um erledigt zu werden.
Ein Dienstmädchen wurde losgeschickt, um den Schlüssel für die Fessel um Kerrs Fußgelenk zu holen. Es kehrte mit dem Kammerdiener zurück, der ohne viel Mühe die Fessel öffnete und sie zusammen mit der Kette entfernte.
Auf Tremonts Bitte hin wurden Linien auf dem Fußboden aufgetragen, die den üblichen Regeln eines Duells entsprechend die Punkte kennzeichneten, bis wohin man vorrücken konnte und wie weit man sich zurückziehen durfte. Die beiden Kontrahenten nahmen ihren Platz ein, jeder nahm ein Rapier, dann bewegten sie zum Salut die Klingen auf und
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