Duell der Magier 02 - Die Bahn der magischen Monde
ging still und würdevoll zur Treppe, drehte sich um und blieb stehen, wobei eine Hand leicht auf dem Geländer ruhte. In der plötzlichen Stille klang ihre Stimme klarer und kräftiger als jeder Schrei. »Tu, was deine Pflicht ist, Deksel, aber ich appelliere an dich, dein Gewissen zu erforschen, die Exzesse deiner Herrn maßvoll auszuführen. Euch, die ihr noch meine Freunde seid, sage ich, tut das Notwendige zum Überleben, aber dient ihnen niemals mit willigem Herzen und williger Hand. Für euch erbitte ich den Segen der Jungfrau und bete darum, daß ihr bessere Zeiten sehen möget. Für euch, die ihr euch mit Leib und Seele diesem Greuel verschrieben habt, bete ich, daß ihr genau das bekommt, was ihr wünscht, nicht mehr, nicht weniger.« Sie beobachtete sie ohne weitere Worte und voller Verachtung in den hellbraunen Augen, dann drehte sie sich um und ging weiter die Stiegen hinauf.
Einige Augenblicke lang war nur das Atmen in der Halle zu vernehmen und das Scharren von Stiefeln auf den Steinfliesen. Die Szene blieb unverändert, bis man oben eine Tür zufallen hörte, dann faßte der Agli nach Nilis' Arm und führte sie durch den Raum zu dem Hochstuhl, von dem aus Tesc Streitigkeiten schlichtete, Belohnungen zuteilte und den Feiern der jahreszeitlichen Feste vorstand. Tuli stockte vor Schreck der Atem, als Nilis die Stufen erklomm und ihres Vaters Platz einnahm. Nilis hörte es, starrte sie an, dann glättete sich ihr Gesicht zu einem Lächeln, als sie zu dem Agli emporblickte, der sich neben ihre Schulter gestellt hatte. Er knackte mit seinen Fingerknöcheln.
Der Deksel verbeugte sich ganz leicht, als hätte er einen steifen Hals und erweckte wieder den Anschein, als verabscheue er, was er tat. Aber er würde es trotzdem tun, war er doch ein Mann, der Bewertungen und Strategien jenen überließ, die ihm seine Befehle erteilten, ein Mann, der seine Ehre mit korrekter Pflichterfüllung beschrieb. Er rief einen seiner Zehn und deutete auf die am Boden liegende Schriftrolle. Der Gardist hob sie auf, brachte sie seinem Anführer, salutierte geschmeidig und trat zurück ins Glied. Der Deksel strich die Stelle glatt, wo Annics Fuß die Rolle plattgetreten hatte, blieb stehen und tippte damit auf seinen Oberschenkel. »Auf Befehl von Oras wird die gesamte Ernte dieses Tars der Doamna-Regentin übereignet.« Wieder klang seine Stimme dumpf und ohne Resonanz. »Gradin-Häusler, die auf dem Land bleiben wollen, müssen beim Agli Urith oder Nilis Neutorma Gradin-Tochter um Lebensmittel und andere notwendige Dinge bitten. Wer sie bekommt und wer gehen muß, unterliegt ihrem Urteil.« Unruhe kam unter die loyalen Häusler. Tuli hörte gemurmelte Proteste, sah, wie Leute, die ihre Freunde gewesen waren, Sanani, Teras und sie flüchtig oder offen musterten. Sie konnte ihnen nicht helfen, sie konnte nicht einmal sich selbst helfen. Obwohl sie sie einzuschränken suchten und sie manchmal kräftig in Rage brachten, waren die Häusler doch ihre Leute, sie war eine Gradin und ihnen ebenso fest verbunden wie die Häusler dem Land durch Blut, Brauch und Gesetz. Und doch konnte sie nicht aufhalten, was sich vor ihren Augen abspielte. Einige würden fortziehen, sie las es in ihren Gesichtern, wußte, daß sie niemals das Knie vor Nilis und dem Agli beugen würden; andere würden bleiben, zumindest eine Weile und sich jämmerlich dabei fühlen.
Eine Auslese,
dachte sie.
Sie betreiben eine Auslese unter den Häuslern. Sie werden die Schwachen behalten und die Starken zum Verhungern wegschicken.
Der Deksel redete immer noch, sie hatte einiges verpaßt, was er gesagt hatte, aber nun hörte sie: » ... kehrt in eure Häuser, werft alles Verbotene hinaus, jedes Buch oder Bild oder anderes Artefakt, was unter dem Kirchenbann steht. Wenn dies geschehen ist, werden der Agli und die Neutorma eure Behausungen inspizieren. Alle versteckten Gegenstände werden verbrannt, und der verantwortliche Häusler wird zu den Gradingeborenen ins Haus der Buße geschickt, wo er lernen wird, seinen Fehler einzusehen. Nach dem Mittagessen werden alle freiwillig abgegebenen Gegenstände der Häusler vor dem Haus zur Läuterung des Hauses verbrannt werden.«
So schnell,
dachte Tuli.
Wie kann das alles so schnell gehen?
Mit aufgewühltem Gesicht wandte sich Sanani ab, um Annic die Treppe hinauf zu folgen. Sie legte eine Hand auf die Krone des Abschlußpfostens vom Geländer, wirbelte dann aber herum. »Nein«, sagte sie, und ihre Stimme bebte vor dem Zorn,
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