Duell im Eis
Nr. 1 von Tschaikowski auflegte, kroch sie nahe an Ric heran, legte den Arm um seine Hüfte, kuschelte sich an ihn und schloß die Augen.
»Daß es so etwas gibt, diese himmlische Musik, ist schon das Leben wert«, sagte sie einmal und war den Tränen nahe, »und auch das Sterben wird leichter.«
»Damit hat es Zeit«, antwortete Ric leise. »Erst beginnt unser Leben.«
»Irgendwo in Sibirien. In Jakutien, bei den Ewenken, auf Kamtschatka. Oder in den Steppen am Ussuri …«
»Meine Landsleute werden mich nicht so einfach abschreiben. Sie werden uns suchen. Brooks gibt niemals auf; wo andere sagen: ›Es ist sinnlos‹, sagt er: ›Ich hoffe noch.‹«
»Wer ist Brooks?«
»Commander Jim Brooks, der Chef unseres Geschwaders. Du wirst ihn kennenlernen, Ljuba.«
»Wie will er nach Sibirien kommen?« fragte sie bitter.
»Wir werden nicht nach Sibirien verschleppt! Jim sucht und findet uns.«
»Wo will er denn suchen? Niemand sieht uns aus der Luft.« Sie war zum Plattenspieler gegangen, legte eine neue Scheibe auf und kam zu Ric zurück. Das Vorspiel zu ›Tristan und Isolde‹ von Wagner verzauberte sie vom ersten berühmten Akkord an. Die schönste, in Melodien aufgelöste Liebe strömte über sie hinweg.
»Du magst Wagner auch?« fragte Ljuba leise.
»Jetzt ja. Früher war mir Sinatra lieber oder Crosby oder Sammy Davis junior. Aber durch dich ist alles anders geworden, Ljuba, alles. Ich komme mir wie ein neuer Mensch vor. Und deshalb glaube ich auch an eine Zukunft.«
Sie schwieg, wollte die selige Stimmung nicht zerstören, streichelte seinen Körper, tastete ihn mit Küssen ab, und dann liebten sie einander unter den betäubenden Klängen von Wagners Liebesdrama.
»Was hast du erfahren?« fragte Ljuba, als Malenkow eingetreten war.
»Noch liegt die Ablösung auf See. Eine Frist zum Beten, wenn wir an Gott glauben würden.«
»Und Schesjekin?«
»Er redet nicht mehr mit mir.«
»Ein Zeichen, daß wir bereits aus der Liste gestrichen sind.«
»Man kann es so sehen.« Malenkow blickte sich um. »Wo sind Virginia und Ric?«
»Sie schwitzen in der Banja.«
»Allein?«
»Eifersüchtig, Jurenka?« Sie lachte und bog sich in den Hüften.
Wunderschön war sie, und Malenkow dachte daran, wie sie wohl in zwei Jahren aussehen würde, in Wattejacke und Wattehosen, mit derben Stiefeln, wollenem Kopftuch, irgendwo in den sibirischen Wäldern, die gefällten Bäume entastend und mit Traktoren zum Sammelplatz schleppend. »Ja«, brummte er. »Auch wenn sie miteinander verlobt waren, sie brauchen nicht mehr nackt zusammenzuhocken. Ich mag das nicht.« Er ging hinüber ins Schlafzimmer, zog sich aus und kam in die Küche zurück. »Ich gehe auch in die Banja.«
»Jetzt stehst du nackt vor mir – ist das etwas anderes?«
»Ja. Du hast einen anderen Begriff von Moral.« Malenkow verließ die Küche wieder, schlüpfte von dem Verbindungsgang aus in die Banja und setzte sich neben Virginia. Ihre Nacktheit erregte ihn sofort, er legte ein Handtuch über seinen Schoß und wandte den Kopf nach rückwärts. Ric lag eine Etage höher auf der Holzpritsche, hatte die Augen geschlossen und rührte sich nicht.
»Übersätz ihm«, sagte Malenkow zu Virginia. »Wir habben« – er suchte nach dem deutschen Wort, fand es nicht und umschrieb es, und es wurde die richtige Aussage – »Frist fürr Galgen.«
»Ric, die Schiffe sind noch nicht da«, übersetzte Virginia. »Noch kann es Brooks gelingen, uns zu entdecken.«
»Ich warte von Stunde zu Stunde«, antwortete Henderson, träge von der feuchten Hitze.
»Und du glaubst, daß Schesjekin ohne Schwierigkeiten Jurij und Ljuba mitgibt?«
»Er wird verdammte Schwierigkeiten bekommen, wenn er's nicht tut.«
»Ein Privatkrieg im Eisberg, das wird nie sein! Das wäre Wahnsinn!«
»Ein Krieg im kleinen vertrauten Kreis, von dem die Welt nie etwas erfahren und der sie nie berühren wird. Wir alle hier leben außerhalb der Legalität.«
»Ric, es wird Tote geben!«
»Das hängt von den Russen ab.«
»Du rechnest also damit, daß es Tote geben könnte?«
»Jede Eskalation kostet Opfer.«
»Ric …« Virginia drehte sich zu ihm um und blickte auf die Holzliege über sich. Henderson lag noch immer mit geschlossenen Augen da, als schlafe er in der heißen, feuchten Luft. Nur das Spiel seiner Zehen bewies, daß er hell wach war. »Für uns sollen andere junge Menschen sterben? Sind wir das wert?«
»Ljuba ist mir mehr wert als alles andere auf der Welt. Du natürlich auch.
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