Duell im Eis
einer tiefen Spalte. Ich schätze sie auf glatt über 300 Meter tief.«
»Da kann doch keiner leben, Brooks!«
»Normalerweise nicht, Sir. Aber wir haben es mit Russen zu tun – da ist nichts unmöglich. Ich erinnere mich, was mein Vater erzählte, und der hat es aus deutschen Zeitungen von damals. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Krauts auch die Pripjet-Sümpfe besetzt, da kam keine Ente mehr durch. Trotzdem hatten sie laufend Verluste. Was war? Die Russen lagen in den Sümpfen unter der Oberfläche und atmeten durch Schilfrohre. Und denken Sie an den Vietkong, Sir, was die alles fertigbrachten. Die hatten ein unterirdisches Höhlensystem, das nie jemand erobert hätte. Und auf unserem Berg sitzt der Russe ebenfalls in solch einem Höhlensystem, nur ist es aus Eis. Für die Sowjets kein Problem.«
»Das klingt ja fast, als bewunderten Sie die Russen!«
»Manchmal ja, Sir.« Brooks räusperte sich. »Wir sind irgendwie schwerfälliger. Bei uns geht alles erst durch zehn Expertenkommissionen.«
»Ich gebe Ihre Beobachtungen sofort nach Washington weiter, Jim. Das aufgefundene sowjetische Labor hat im Pentagon wie ein Blitz eingeschlagen. General Pittburger hat den Minister und dann den Präsidenten benachrichtigt.«
»Ich habe auch Fotos von der dampfenden Spalte gemacht, Sir.«
»Brooks, das ist ja fabelhaft.« Seymores Stimme brüllte vor Begeisterung. »Sofort zurück auf die ›Lincoln‹! Wir funken die Bilder nach Washington. Hoffentlich hat General Pittburger ein starkes Herz und fällt nicht um. Wissen Sie, daß Ihre Entdeckung Krieg bedeuten kann?«
»Mir ist dieser furchtbare Gedanke auch gekommen, Sir. Wie können wir diese Entwicklung aufhalten?«
»Wir? Brooks, wir sind doch arme kleine Scheißer. Nichts können wir tun! Das entscheiden ein paar Superhirne an einem runden Tisch. Wir dürfen dann nur noch draufschlagen. So war's immer, Jim – warum soll es jetzt anders sein?«
»Sie haben recht, Sir.« Brooks zog das Kinn an. Er überblickte ganz klar ihre Situation. »Wir sind wirklich arme kleine Scheißer. Ende, Sir.«
Pittburger stand als Vortragender Präsident Reagan gegenüber, der hinter dem großen Schreibtisch in seinem Sessel saß und stumm zuhörte. Reagans Gesicht schien von tiefen Falten durchzogen zu sein und sah leidend aus, als habe sich sein gutmütiger Hautkrebs in tiefere Regionen seines Körpers verzogen und sei dort bösartig geworden. Eine Konfrontation mit den Sowjets war unvermeidlich; der eine wußte vom anderen, daß der im Bewußtsein der Menschheit längst verschwundene Eisberg zwei der geheimsten Projekte der beiden Staaten enthielt und zum Prüfstein des Friedenswillens der USA und von Glasnost und Perestroika geworden war. An diesem riesigen Eisberg konnte sich die endgültige Spaltung der Welt in zwei Teile vollziehen, eine Teilung, die sich nie mehr rückgängig machen ließ. Waren die Projekte das wert?
General Pittburger trug die Fakten mit klarer, emotionsloser Stimme vor. Er breitete vor dem Präsidenten die Vielfalt der sowjetischen Waffenforschung aus, neue Kriegstechniken, bei denen die USA hinterher hinkten und die – da geheim – noch in keinen Vertrag aufgenommen und geächtet worden waren, neue Waffen, die mühelos die ganze Menschheit vernichten konnten.
»Es muß eine Entscheidung getroffen werden, Herr Präsident«, sagte Pittburger am Ende seines Vortrages. »Eine schnelle Entscheidung, ehe die Sowjets uns zuvorkommen. Die Fotos von Commander Brooks lassen eine Menge Vermutungen zu, die Satellitenbilder zeigen vier Frachtschiffe unter argentinischer Flagge im Ross-Meer, von denen seit gestern zwei plötzlich verschwunden sind, über Nacht. Eine Rückfrage in Argentinien ergab, daß keinerlei Veranlassung besteht, ins Südpolarmeer vier Frachter zu schicken, auch nicht zum Materialnachschub argentinischer Forschungsstationen auf dem Antarktis-Eis. Dort, wo wir die Schiffe gesichtet haben, gibt es keine argentinischen Stützpunkte. Aber der Eisberg ist in der Nähe. Die Vermutung liegt nahe, daß es sowjetische Schiffe sind, die unter argentinischer Flagge fahren. Das Kriegsministerium in Buenos Aires ist alarmiert und wird U-Boote und Luftaufklärer ins Ross-Meer schicken. Wir schlagen vor, Herr Präsident, daß auch wir die ›Lincoln‹ durch ein Geschwader verstärken und vor allem U-Boote in die Antarktis schicken.«
»Sähe das nicht wie eine Provokation aus, Louis?« fragte Reagan mit leiser Stimme.
»Die Sowjets mißachten die
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