Duenne Haut - Kriminalroman
schnappt nach Luft, ich ziehe die Schlinge weiter zu.
Vielleicht ein Geschenk vom Chefarzt, für kleine nächtliche Gefälligkeiten?
Sie muss sich am Zaun festhalten. Ganz bleich ist es plötzlich geworden, ihr süßes Schulmädchengesicht.
Jetzt werden Sie aber wirklich zu persönlich, Frau Herbst!
Persönlich werden … Genau darum ginge es doch, du Möchtegern-Therapeutin! Aber das denke ich mir nur im Stillen, eine wie sie verdient keine Erklärung. Was ist nur geworden aus ihren niedlichen Kuhaugen? Zu runzeligen Rosinen sind sie verkommen, geschrumpft auf halbe Größe.
Ich brauche keinen Rückspiegel, um zu wissen: Gleich wirst du losheulen, Sigrid Bayer. Und kein Kollege in Weiß, der dich trösten könnte. Kein einziger weit und breit.
7 W ER WEISS WEITER
Das Wetter hat in der Nacht umgeschlagen, aber Kälte und Nebel können ihn nicht von der morgendlichen Frischluftkur abhalten, die er wegen seines Treppensturzes für drei Tage aussetzen musste. Der Park ist teilweise ziemlich verwildert, was Hagen durchaus schätzt. Auch die Steinbänke an den Wegkreuzungen laden nicht wirklich zum Verweilen ein. Sie sind mit feuchtem Moos bewachsen, auf dem sich zu dieser frühen Stunde ein feiner Film aus Raureif gebildet hat. Umso erstaunter ist Hagen, als er auf einer der Bänke eine zusammengekauerte Figur entdeckt. In einen dicken, braunen Mantel gehüllt hockt, ihm abgewandt und offenbar so in Gedanken versunken, dass er Hagens Näherkommen nicht bemerkt, ein Mann, der ihm schon im Speisesaal aufgefallen ist. Irgendetwas an seiner Körperhaltung kommt ihm bekannt vor. Von den Gesichtszügen her ist der Mann gut und gerne zehn Jahre jünger als er, sein ungepflegter Bart und der altmodische Mantel lassen ihn aber älter erscheinen. Erst als Hagen unmittelbar neben ihm steht, blickt der andere auf. In dem Moment, als ihre Blicke sich treffen, weiß Hagen, wen er vor sich hat. „Prader!“, platzt es aus ihm heraus. Der Angesprochene zuckt zusammen. Eine eindeutige Bestätigung für den Chefinspektor, dass der prominente Kabarettist vor ihm hockt.
„Tschuldigung, wenn ich Sie erschreckt haben sollte“, sagt Hagen und fährt seine Hand aus. „Hagen, mein Name.“
Sein Gegenüber springt, anstatt die hingestreckte Hand zu ergreifen, auf und läuft davon. Nach fünfzig Metern wird er langsamer, zögert kurz und dreht wieder um. Beide gehen aufeinander zu, um wie auf Kommando stehenzubleiben. Duell im Morgengrauen, denkt Hagen unwillkürlich. Er entschließt sich, die unangenehme Stille zu brechen.
„Ich kann Sie verstehen, Herr Prader. Auch wenn ich wesentlich weniger bekannt bin als Sie, bleibe ich hier lieber inkognito. Aber ich kann die Situation nun einmal nicht mehr ändern.“
Ein Lächeln huscht über das Gesicht des anderen. „Nein, das ist wohl tatsächlich ein Ding der Unmöglichkeit: eine Erkenntnis zurückzuschrauben.“ Er streckt seinerseits die Hand aus. Hagen ergreift sie dankbar.
„Es ist der Bart!“, sagt er. „Darum habe ich Sie nicht gleich erkannt. Immer wieder unglaublich, wie ein bisschen Bart die Menschen verändern kann.“
„Das war eigentlich die Idee“, brummt Prader, „hat aber nicht viel geholfen.“
„Und die Wolle steht Ihnen auch nicht, wenn ich das so offen sagen darf.“
„Ich weiß. Aber wir sind ja hier nicht auf einem Catwalk.“
Beide lächeln, kurz und trocken.
„Wir könnten ein Stück miteinander gehen“, schlägt Prader vor. „Zumindest die Vorliebe für frühe Spaziergänge scheinen wir ja gemeinsam zu haben.“
Die nächsten Minuten trotten sie schweigend nebeneinander her. Zwei nicht mehr ganz junge Männer, die die Lust an körperlicher Bewegung entdeckt haben.
Diesmal ist es Prader, der das Schweigen bricht. „Woher kennen Sie mich überhaupt?“
„Ursprünglich aus dem Fernsehen. Einmal habe ich Sie auch live gesehen: als Sie vor zwei Jahren in Feldkirch auf der Bühne standen. Sie werden sich kaum mehr an unser kleines Provinztheater erinnern – so, wie Sie herumgereicht werden.“
„Doch“, widerspricht Prader. Gerade an den Feldkircher Auftritt erinnere er sich noch bestens. „Im Westen aufzutreten ist für mich immer eine spezielle Herausforderung: Wird das Publikum überhaupt meinen Dialekt verstehen, kann es etwas anfangen mit dem Wiener Schmäh? Den Alemannen sagt man ja nach, knochentrocken zu sein. Aber meine Befürchtung war unbegründet. Und Sie waren da also im Publikum.“
„Genau. War ein Mordsspaß. Als
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