Duenne Haut - Kriminalroman
passt wie …
„Darf ich Sie bitten, sich kurz vorzustellen, Anton.“
… wie ein Mercedesstern auf einen Sattelschlepper, denkt er den Vergleich zu Ende.
Auch wenn Hagen diese Situation im Geist schon mehrfach durchgespielt hat – jetzt, wo zwölf Augenpaare jede seiner Bewegungen verfolgen, fällt ihm der Einstieg noch schwerer als erwartet. Vielleicht liegt es ja an der femininen Übermacht: neun Frauen und nur vier Männer. Darunter leider auch Laub, der nervige Oberstudienrat. Hagen nennt Namen und Alter und verweist darauf, dass er aus Vorarlberg im benachbarten Österreich stammt, weshalb man ihm auch seinen Akzent nachsehen möge. Er erntet ein wohlwollendes Nicken. Dann die erste große Hürde: sein Beruf. Er hat sich schon vorab dazu entschlossen, es bei der wenig präzisen Angabe
Polizist
bewenden zu lassen. Wozu soll er den Kriminalisten hervorkehren? Das könnte nur eine bestimmte Art von Neugier wecken, worauf er ganz und gar nicht scharf ist. Schließlich lässt er noch anklingen, dass er so etwas wie einen Nervenzusammenbruch erlitten hat. Aber auch diesbezüglich erspart er sich jeden genaueren Hinweis.
„Tja, das wär’s eigentlich schon.“ Er versucht, wieder in eine entspanntere Sitzposition zurückzufinden. Was gar nicht so leicht ist, denn er hat keinen Stuhl, sondern lediglich ein Kissen unter sich.
Dr. Mickl bedankt sich für Hagens magere Darbietung und lädt die anderen ein, sich ebenfalls kurz vorzustellen. „Wenn wir das aber bitte so machen, dass wir nach unserem Namen auch gleich einen Alltagsgegenstand als Bild für unsere momentane Befindlichkeit nennen. Damit wollen wir einerseits Anton die Gelegenheit geben, uns schneller kennenzulernen, und andererseits an unsere letzte Sitzung anknüpfen. Auch Sie“ – sie wendet sich nochmals an Hagen – „sind herzlich eingeladen, uns spontan einen solchen Schnappschuss von sich zu schenken.“
Was für einen Schnappschuss?, fragt sich Hagen. Er hat kein Bild von seiner Befindlichkeit! Er ist es gewohnt, Protokolle anzufertigen über Einvernahmen von Verdächtigen und Zeugen, über Tatverläufe und bisherige Ermittlungen. Über Erkenntnisse eben, nicht über Gefühle. Und spontan läuft da schon gar nichts. Wieso schauen ihn jetzt alle an, als wäre er der Hauptdarsteller!
„Ich würde … äh … lieber noch ein bisschen darüber nachdenken.“ Er blickt Hilfe suchend in die Runde.
Die Frau zu seiner Rechten erlöst ihn aus seinem Elend. „Aiso, da fang i einfach o“, sagt sie in breitestem Münchnerisch. „I bin de Rosi, eigentlich Rosemarie, aber Rosi is mia lieba. I komm mia vor wia a Bleistift, der immer glei abstumpft. Und wenn ma ihn spitzn wui, bricht d’Mine ab.“
„Danke, Rosi“, sagt Dr. Mickl, „ein eindrückliches Bild.“ Aber Rosi lässt sich nicht so schnell abstellen.
„In da Früa hab i mein Mo ogrufa, weil i ihm erzein woit, wia’s mir die letzn Tag ganga is, aber der hat nedamoi abghom. Er hebt ja nia ab! Ihr kenz euch gar net vorstein, wia i mi da fuhi! Grad so, wia wenn i zum x-ten Mal umsonst darauf wart, dass er den Fernseher endlich abschoit und zu mir unter d’Deckn kriacht, wo ich doch extra das kurze Seidene ozong hab für eahm …“
Hilfe!, schreit es in Hagen. Genau das war seine Angst vor der Gruppentherapie: dass dein Innerstes nach außen gekehrt, dass noch das intimste Detail analysiert und seziert wird, als befändest du dich auf dem Chromstahltisch der Prosektur, mit einem Psychopathen von Pathologen, der sich lustvoll durch die Eingeweide deiner Seele hindurchschnipselt. Aber offenbar ist er hier alleine mit seiner Angst, denn die anderen identifizieren sich ohne erkennbare Scheu mit morschen Leitern, welken Blüten oder verschmierten Brillengläsern. Jetzt fehlt nur noch sein Beitrag. Dr. Mickls breiter Hintern dreht sich auf dem Sitzkissen, ihre ausgestreckte Linke vollführt eine Geste in seine Richtung, als wolle sie ihn zum Tanzen auffordern. Damenwahl! Der größtmögliche Terror für alle Tanzmuffel! Er würgt heraus, was ihm auf die Schnelle in den Sinn kommt:
„Eine Bierflasche.“
Was hat er da gesagt? Gleich werden sich alle auf die Schenkel klopfen!
„Leer oder voll?“
Max, die
morsche Leiter
, hat die Frage gestellt.
„Leer, natürlich“, antwortet Hagen reflexartig.
Eine gewisse Gerda will wissen, was daran
natürlich
sei.
Na, weil ich nun mal die Angewohnheit habe, keinen Tropfen in einer Bierflasche zurückzulassen, ist Hagen versucht zu witzeln.
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