Duenne Haut - Kriminalroman
Lieblingsstück, dann werden die anderen versuchen, eine Szene daraus nachzustellen, nach Ihren Regieanweisungen. Gespielt wird, was immer Sie für die Schlüsselszene halten. Sie allein wählen auch die Mitspieler aus und geben ihnen einige Leitsätze für die Rolle mit auf den Weg.“
„Und Sie glauben, das bringt mich dann zum wahren Grund für meinen … äh … Durchbruch?“
„Das werden wir am Ende schon sehen“, lächelt sie milde.
„Hm.“ Hagen kratzt sich am Hinterkopf. „Könnte es auch ein Film sein? Theater ist ehrlich gesagt nicht ganz meine Sache.“
„Selbstverständlich. Filme, Theaterstücke, Opern – wie es Ihnen beliebt.“
Hagens Skepsis bleibt ungetrübt. Aber Hauptsache, das Psychoblabla hört erst einmal auf. Sein Lieblingsfilm – was ist denn schnell sein Lieblingsfilm? Er spult ein Ausschließungsverfahren ab: Auf keinen Fall ein Krimi, so viel steht fest, man ist ja schließlich nicht Masochist! Er hat sie immer als lächerlich empfunden, diese abstrusen Wendungen und Entlarvungen im letzten Moment. Ebenso ödet ihn die Moralkeule an, wie sie darin meistens geschwungen wird. Aber auch das episch Breite, wie Lisa es liebte, ist seine Sache nicht. Am meisten flog sie, die Wendige, die Flippige, auf drei Stunden lange indische Bollywoodschinken! Vielleicht einfach, weil in ihnen fleißig getanzt und gesungen wurde.
Plötzlich weiß er die Lösung.
„Der Seemann und die Nonne.“
„Kenne ich nicht“, sagt Gerda.
„I au net“, sagt Rosi. „Aber der Titl passt guat da her, wo wia doch a Leben führn müassn wie die Nonna.“
„Beziehungsweise Mönche“, ergänzt Max.
„Ein eher unbekannter Wim Wenders“, klärt Hagen sie auf, „noch in Schwarz-Weiß gedreht.“
Dr. Mickl betont, dass es nicht wesentlich sei, ob jemand die Vorlage kenne. „Wichtig ist, was Anton uns daraus zeigen wird.“
„Ist es unter Umständen ein Problem, wenn man wie ich den Film schon ein halbes Dutzend Mal gesehen hat?“, will Prader wissen.
„Nein, auch das nicht.“
Hagen hat die Frage Praders mit einem überraschten Blick quittiert. Nun bekommt er in aller Kürze die Spielregeln erklärt. Über den Inhalt solle er nur so viel mitteilen, wie zum Verständnis der Szene unbedingt notwendig sei. Rüberbringen statt Reden, laute die Devise.
„Es geht darum, was jeder der Protagonisten in der Szene empfindet. Allen voran natürlich Sie, Anton!“
Seltsam, denkt er, wenn das
Sie
so unvermittelt auf den Vornamen prallt; aber vielleicht eh kein schlechter Kompromiss. Hagens Laune hat sich in den letzten Minuten gebessert. Noch ein kurzes Räuspern, dann legt er los.
„Also: Der Film handelt von einem jungen Seemann in der Ägäis, dessen Schiff untergegangen ist. Er als der einzige Überlebende kann sich mit Müh und Not auf eine kleine Insel retten, wo es nur ein Dorf und ein Kloster mit ein paar Nonnen gibt. Eine junge Nonne findet den Seemann am Strand und päppelt ihn in den nächsten Tagen wieder auf.“
„Schade“, wirft Max ein. „Bei diesem Szenario wird sich wohl keine Rolle für mich ausgehen.“
„Sie verlieben sich natürlich ineinander, und nach einigen Seelenqualen beschließt die Nonne, dem Klosterleben ade zu sagen und mit dem Seemann fortzuziehen. Es kommt zu einem Konflikt mit der Schwester Oberin, die versucht, der jungen Nonne ihre Liebe auszureden, indem sie sie als bloße Fleischeslust hinstellt, die der wahren Liebe, nämlich der zu Jesus Christus, nie und nimmer das Wasser reichen könne. Doch die Nonne steht zu ihrer Liebe, und so greift die Oberin zum schärfsten Mittel, nämlich zur Lüge. Sie behauptet, den Seemann im Dorf mit einer anderen Frau zusammen gesehen zu haben. Die Nonne glaubt ihr natürlich und erleidet einen Nervenzusammenbruch. Sie wird über Nacht ins Krankenhaus auf die größere Nachbarinsel gebracht, was die Oberin für eine weitere Lüge zu nutzen weiß, indem sie dem Seemann erklärt, die Nonne habe immer schon an einer psychischen Störung gelitten und sei wegen der rapiden Verschlechterung ihres Zustands in eine Anstalt eingeliefert worden, wo sie wohl für längere Zeit bleiben müsse. Der Seemann will im Dorf auf ihre Rückkehr warten, verliebt sich aber nach kurzer Zeit tatsächlich in eine Dorfschönheit und zieht mit dieser fort. Als das der Nonne zugetragen wird, bringt sie sich noch am selben Tag um. Fertig.“
„Tragisch, supertragisch!“, sagt Max. „Ein Verschnitt von Robinson Crusoe und Romeo und Julia. Da lobe ich
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