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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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einer kultivierten Gesellschaft übernehmen Worte die Funktion von Schlägen …“
    Nur Hagen fühlt sich außerstande, seine Gefühle zu beschreiben. Der Kampf um die Geliebte sei wohl ein Flop gewesen.
    „Und was hätte es gebraucht, damit Sie besser gekämpft hätten, Anton?“, fragt Dr. Mickl.
    „Wie meinen Sie das?“
    „Nun, vielleicht war Ihre Liebe einfach nicht groß genug? Oder die Geliebte hat sich bei näherer Betrachtung als weniger schön erwiesen, als Sie sie im ersten Liebesrausch empfunden hatten, oder ihre angebliche psychische Erkrankung hat Sie abgeschreckt? Vielleicht fühlten Sie sich auch zu schwach, hatten womöglich etwas Ähnliches schon einmal durchstehen müssen? Es gibt viele denkbare Gründe, Anton, warum jemand sich außerstande fühlt zu kämpfen. Ehrliche wie vorgeschobene.“
    Hagen sitzt versteinert auf seinem Polster.
    „Was wir hier tun, Anton, ist kein Spiel. Schon gar kein Pokerspiel, bei dem man mit Bluffen gewinnen kann. Ich empfehle Ihnen, dass Sie sich dieses Thema in der Einzeltherapie genauer anschauen. Einverstanden?“
    Er ahnt, dass die Pause umso schwerer wiegt, je länger er mit der Antwort zuwartet.
    „Einverstanden.“
    „Gut“, sagt sie. Das Eis in ihrer Stimme zerschmilzt zu einem rotmundigen Lächeln. „Aber jetzt müssen wir leider Schluss machen, meine Lieben. Also dann – bis am Donnerstag!“

9 N IEDERE R EGIONEN
    Dr. Sachs lehnt sich tief in den schwarzledernen Bürosessel zurück und wirft einen Blick auf seine
Chronoswiss
, deren achtzehnkarätiges Weißgoldgehäuse im Licht der Tischlampe schimmert wie das Gehäuse einer Muschel. Dr. Sachs liebt Präzision, und am meisten liebt er sie in Verbindung mit vollendetem Stil und Geschmack. Doch das kostbare Stück, ein Mitbringsel vom letzten Psychosomatikkongress in Zürich, vermeldet in diesem Augenblick eine Störung, eine Turbulenz im exakt kalkulierten Arbeitstag eines Chefarztes. Bereits drei Minuten verspätet, brummt er vor sich hin. In der Linken hält er einen eng beschriebenen Papierbogen mit dem aufgeklebten Foto einer attraktiven Dreißigjährigen, in der Rechten eine Tasse frisch gebrühten Darjeeling, den ihm die Sekretärin regelmäßig um fünfzehn Uhr zu servieren hat. Es geht doch nichts über Rituale. Während er die Krankengeschichte der Frau nochmals überfliegt, nippt er hin und wieder an dem leicht gezuckerten Tee. Kein Zweifel: Der kleine Schuss Rum aus der hinter psychologischen Fachbüchern verborgenen Getränkebar hat das Aroma des Darjeeling noch um einiges gesteigert.
    Marie Therese Herbst. Die ausführliche Familienanamnese, aufgenommen und kommentiert von Dr. Westhäußer, ergänzt höchst aufschlussreich das Bild, das sich Dr. Sachs von seiner Patientin in spe während der vormittägigen Teamsitzung machen konnte. Die üblicherweise auf zwei Stunden begrenzte Sitzung hat heute wegen dieser Frau fast doppelt so lange gedauert. Sowohl Westhäußer und Selzer als auch die Therapeutin Bayer haben für einen Ausschluss aus der Klinik plädiert, eine strenge Verwarnung durch den Chef wäre das Mindeste. Nicht absprachefähig, dafür ungemein präpotent und, schlimmer noch als üblich bei Menschen mit Borderlinezügen, destruktiv – so der Grundtenor des Teams. Der reinste Spaltpilz, hat Westhäußer gemeint. Nicht nur in den diversen Therapiegruppen, sondern auch in Bezug auf die Kollegenschaft. Sie spiele die Menschen gegeneinander aus, das übliche Spiel bei Persönlichkeitsstörungen vom impulsiven Typ; aber angesichts der Herbst stießen selbst erfahrene Mitarbeiter an ihre Grenzen. Was Sigi Bayer betraf, hatte Oberarzt Selzer jedenfalls nicht übertrieben: Sie scheint
reif für die Insel
zu sein, im Klinikjargon ein Synonym für die Psychiatrie. Dennoch hat er, der Chefarzt, den Ausschluss der Patientin für verfrüht erachtet. „Wir sind eine Rehaklinik, die einen Ruf zu verspielen hat!“, musste er das Team wieder einmal erinnern. „Stellen Sie sich vor, was das für ein Bild machen würde – hausintern und erst recht in der Öffentlichkeit! Seit über dreißig Jahren trägt die Rentenversicherung dieses System. Warum wohl? Damit wir die Leute bestmöglich ins Arbeitsleben reintegrieren – nicht, damit wir sie fallen lassen! Ein Rauswurf kann und darf nur das allerletzte Mittel sein.“ Außerdem werde er in Zukunft ja selbst die Einzeltherapie bei diesem Gast übernehmen.
    Gast
lautet der Code für besonders problematische Persönlichkeiten auf der

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