Duenne Haut - Kriminalroman
Aber rechtzeitig fällt ihm ein, dass so eine lockere Bemerkung zu einer unangenehmen Folgefrage führen könnte, nämlich, wie viele Flaschen er denn im Schnitt pro Tag leere. Und darüber möchte er ganz sicher nicht sprechen. Da bleibt er lieber sachlich und bemüht, möglichst keine Angriffsflächen zu bieten.
„Weil ich mich halt leer fühle. Und weil eine leere Bierflasche nichts wert ist.“
„Doch. Das Pfand, immerhin!“
Max’ launiger Kommentar nimmt Hagen ein bisschen etwas von seiner Anspannung. Warum, zum Kuckuck, rückst du nicht gleich damit heraus, fragt er sich. Es bleibt dir ja eh nicht erspart.
„Es gibt noch einen anderen Grund“, sagt er schüchtern wie ein Schulbub. „Ich meine, dafür, dass mir eine Bierflasche eingefallen ist. Genau wegen so einer bin ich nämlich hier.“
Und dann schildert er der staunenden Runde, wie er mit einer leeren Flasche Mohrenbräu am helllichten Tag einen BMW demoliert hat. Den Mienen nach zu urteilen kommt seine Darstellung gut an. Endlich einmal ein bisschen Action im grauen Klinikalltag! Wenn die erst wüssten, dass er bei der Kripo ist … Nur Dr. Mickl lässt sich von seiner Geschichte nicht beeindrucken.
„Nun, Anton, das war aber doch höchstens der Auslöser, dass Sie sich zu einer Therapie entschlossen haben, nicht wahr? Möchten Sie jetzt nicht versuchen, dem tieferen Grund für Ihren Impulsdurchbruch nachzuspüren?“
Er? Sich zu einer Therapie entschlossen? Sie meint es ja bestimmt ganz nett, die liebe Frau Doktor. Aber sein Problem ist es, dass er Sülze nie geschätzt hat. Und was sonst ist diese schwabbelige Mischung aus Pathos und Fachjargon?
Impulsdurchbruch … nachspüren …
Wieso kann man es nicht schlicht und einfach so nennen, wie es war: dass ihm damals auf der Straße die Sicherung durchgebrannt ist. Natürlich hat er sich auch schon gefragt, und nicht bloß einmal, was ihn an dem schönen Herbstnachmittag ausrasten ließ. Und natürlich fällt ihm nicht nur
ein
Grund ein. Aber soll er deswegen gleich seine ganze Lebensgeschichte vor diesen wildfremden Leuten ausbreiten? Was, bitte, bringt das, sich gegenseitig mit Trostlosigkeit zu bombardieren? Und diesen letzten Satz sagt er ihr denn auch ins Gesicht.
„Was das bringt?“, wiederholt die Therapeutin, nicht im Mindesten ungehalten. „Ich würde sagen, ich gebe diese Frage an die Runde weiter. Sie ist ja keinem hier neu.“
Über Hagen bricht sofort ein Schwall von Erklärungen herein: Welch positiven Effekt es doch habe, über negative Erfahrungen mit anderen Betroffenen zu reden und so sein Leid teilen und verhärtete Haltungen relativieren zu können, neue Anregungen zu bekommen etc. Vor allem Oberstudienrat Laub tut sich mit einem Referat mittlerer Länge hervor, bis Prader ihm ziemlich unverblümt mitteilt, er möge sich kürzer fassen, man sei hier nicht in der Schule. Sichtlich eingeschnappt bricht Laub mitten im Satz ab. Die peinliche Stille nutzt Dr. Mickl, um sich wieder an Hagen zu wenden.
„Nun, haben Sie diese Antworten als hilfreich erlebt?“
Er zögert. Man will ja schließlich niemanden beleidigen.
„Na ja. Bei all dem Positiven, das hier aufgezählt wurde, frage ich mich halt, wieso ihr dann alle so triste Bilder in den Raum gestellt habt, als es um die sogenannte Befindlichkeit ging. Ihr seid doch zum Gutteil schon seit Wochen zusammen – solltet ihr dann nicht ein bisschen besser drauf sein als – pardon – stumpfe Bleistifte oder verschmierte Brillengläser?“
Max poltert los, als hätte er Lachgas geschluckt. „Krieg dich mal wieder ein!“, ermahnt ihn Gerda, „was ist denn daran so furchtbar lustig?“
Aber Max denkt nicht daran, sich zu beruhigen. Er klopft sich auf den Bauch und röhrt aus voller Brust; und als sich zuerst Rosi und dann selbst Gerda davon anstecken lassen, infiziert das schnell die ganze Gruppe.
„Toll, Anton“, bescheinigt ihm Dr. Mickl, „Sie haben es geschafft, den Finger auf eine Wunde zu legen. Und Lachen hat ja auch durchaus eine heilsame Wirkung. Doch jetzt möchte ich Ihnen vorschlagen, noch einmal ernsthaft auf unser voriges Thema zurückzukommen: den Grund für Ihren Impulsdurchbruch.“
Meine Hochachtung!, denkt Hagen. Die Frau verliert nicht den Faden, trotz aller Ablenkungsmanöver.
„Diesmal“ – Dr. Mickl hievt ihre Leibesfülle in die Höhe – „werden wir es allerdings ein bisschen spielerischer angehen. Wir verwandeln jetzt unseren Gruppenraum in eine Bühne. Sie, Anton, nennen Ihr
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