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Duenne Haut - Kriminalroman

Duenne Haut - Kriminalroman

Titel: Duenne Haut - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kabelka
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geschehen. Um uns
herum
? Nein: Tief hinein in den eigenen Grund und Boden dringt dieser Permafrost und lässt erstarren, was man über Jahre mühsam in sich zum Keimen und Wachsen gebracht hat. Vier Jahre Studium der Gestaltungs- und Kunsttherapie, ständige Fortbildung, Supervisionen sonder Zahl – ein dünner Firnis, den die erstbeste Kratzbürste einem wegschabt von der Seele. Schneller, als du
perdu
sagen kannst …
    Kloina Sigrid
, hört sie die Oma rufen,
mei kloina Sigrid!
Ihre Statur war schon lange kein Thema mehr für sie. Aber seitdem diese groß gewachsene Berlinerin begonnen hat, sie in die Mangel zu nehmen, ist sie im Kopf wieder auf Mädchengröße geschrumpft, dröhnen im Ohr wieder längst vergessene Sprüche:
Älles schee zuadeckt lassa, kloina Sigrid. Älles schee zuadeckt lassa!
Als Kind hat sie gar nicht verstanden, was damit gemeint war. Hat vermutet, die Oma wolle sie vor dem Frieren bewahren. Deshalb solle der Saum des Röckchens nicht über die Knie rutschen. Erst viel später dämmerte ihr: Es ging um jenen Körperteil, den die Oma um nichts in der Welt je mit einem Namen belegt hätte,
koi bissle
wäre das in Frage gekommen. Die Scham vor den Schamteilen …
A saubers Mädle
würde auch gar nicht auf die Idee kommen, das, was sich unter Rock und Höschen verbirgt, benennen zu wollen.
    Sigrid versucht, die Fieberschauer abzuschütteln. Sich zusammenreißen ist jetzt angesagt. Das Professionelle über Aggression und Regression siegen zu lassen. Natürlich weiß sie um die typischen Merkmale von Borderlinern bestens Bescheid. Über ihre unheimlichen Fähigkeiten, wenn es ums intuitive Aufdecken von Zugedecktem geht. Wie sie in ihrem Meer der Verlassenheit selbst potenzielle Retter panisch unter Wasser drücken, während sie um ihr Leben schwimmen. Oder wie es Professor Keller in seiner Vorlesung über Persönlichkeitsstörungen formuliert hatte: Besonders narzisstische Patienten auf Borderlineniveau neigen zu gnadenlosen Machtkämpfen, aber ihre ständigen Provokationen sind nur die Adlerseite jener Medaille, auf deren Zahlseite wir äußerste Verletzlichkeit und fehlende Selbstsicherheit finden. Die Herbst ist diesbezüglich nicht die Erste und wahrscheinlich auch nicht die Ärgste, mit der sie es in ihrer Arbeit zu tun bekam. Aber sie ist die Einzige, die
sie
, Sigrid Bayer, zum alleinigen Opfer auserkoren hat. Die sie seit Wochen zur Erzfeindin und gleichzeitig zur Versagerin stempelt. Das macht nun einmal den ganzen Unterschied zwischen Theorie und Praxis aus, zwischen überlegener Therapeutenposition und jämmerlichem Selbstzweifel.
    Womit glauben Sie eigentlich, diese Idylle hier verdient zu haben? Vielleicht ein Geschenk vom Chefarzt, für kleine nächtliche Gefälligkeiten?
    Aus heiterem Himmel kamen die Anwürfe, und das draußen in ihrem Gemüsegärtchen, ihrem heiligen Rückzugsgebiet! Sie hat mächtig zu kauen daran. Ganz besonders an den
nächtlichen Gefälligkeiten
.
    Vielleicht, dass es auch mit dem nahenden Jahrestag zusammenhängt …
    Zwei Jahre ist es jetzt her. Die Silvesternacht 2005, als das ganze Team ins Hotel Kleiber eingeladen wurde, um dort gemeinsam das alte Jahr zu beschließen und das neue einzuläuten. Was hatte sie nicht alles in die Vorbereitungen investiert! Eine neue Frisur, ein neues Outfit. Hatte gehofft, endlich wieder einmal nach Herzenslust tanzen zu können, zur angekündigten Livemusik einer lokalen Band. Und nicht zuletzt: Guido, der unnahbare Dr. Guido Westhäußer, würde dabei sein und, wer weiß, in der entkrampften Atmosphäre womöglich ein bisschen auftauen, empfänglich werden für gewisse Gesten und Blicke. Sie mochte Guido. Nicht nur, weil er gleich charmant wie klug war, sondern weil er anders als die meisten männlichen Kollegen seine Qualitäten nicht hervorkehrte. In dieser Hinsicht zweifellos das krasse Gegenstück zum eingebildeten Chefarzt, und nicht nur in dieser. Aber dann wurde ihr schon im Verlauf der ersten Stunde klar, dass ihre Hoffnung auf anregende Tanzmusik sich nicht erfüllen würde. Die Kapelle nannte sich
Die boarischen Bulldozer
, und genauso spielten sie. Landler und Polkas am laufenden Band, dem
Regensburger Landwehr-Marsch
folgte
Mei Deandl is ins Wasser gfalln
, und Sigrid fühlte sich wie eben dieses
Deandl
. Zu allem Überfluss erzählte der sogenannte Conférencier zwischendurch bayrische Witze, die prächtig zur Musik passten:
    Host as scho g’hört?, fragt die Bäuerin aufgeregt ihren Mann, unsere Stalldirn

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