Duenne Haut - Kriminalroman
Herr Chefinspektor“, grinst Graf Bobby, hält die Eingangstür auf und lässt Hagen charmant den Vortritt. „’tschuldigen Sie vielmals! Aber hier handelt es sich ganz ohne Zweifel um eine
Ent
sudelung.“
Als sie in der altertümlichen Wirtsstube Platz genommen haben, legt Hagen sein Sakko ab. Routinemäßig gleitet seine Hand in die aufgesetzten Taschen, und zu seiner Überraschung findet er darin neben der Visitenkarte des Taxifahrers eine zweite, die er bis jetzt noch nicht gesehen hat. Laut liest er den filigranen Aufdruck vor:
Marie Th. Herbst
Diplomierte Übersetzerin
Darunter eine Berliner Adresse samt Telefonnummer. Er kennt keine Frau dieses Namens, aber augenblicklich kommt ihm ein Verdacht. Schließlich ist er nicht mit so vielen Frauen zusammengetroffen in letzter Zeit. Und auch davor nicht, wenn man es genau nimmt.
Wofür wohl das
Th
. steht? Prader weiß Bescheid.
„Schau an! Die Marie Therese“, sagt er mit jenem gewissen Unterton, der irgendwo zwischen abschätzig und überrascht angesiedelt ist. „Wie kommt denn die in deine Tasche?“
„Du kennst sie?“
„Allerdings. Wer kennt die Herbst nicht!“ Ein feines Schmunzeln zieht seine Lippen in die Breite.
„So, wie du das sagst, klingt es, als wäre es nicht unbedingt empfehlenswert, sie zu kennen.“
„Nur, wenn man sich ordentlich wappnet. Mit Stahl, am besten. Aber wozu fragst du? Offenbar hast du ja bereits ihre Bekanntschaft gemacht.“
„Falls
es die Dame ist, die ich meine. Eine lange Brünette …“
„… mit roter Mèche?“
„Genau. Sie hat mich heute im Forum angesprochen, nachdem du gegangen bist.“
„Ohne ihren Namen zu nennen?“
„Ja. Wahrscheinlich hat sie mir die Karte zugesteckt, ohne dass ich es bemerkt habe.“
„Das passt gut zu ihr.“
„Komm schon, erzähl! Was weißt du von ihr?“
„Willst das nicht lieber selbst herausfinden?“, feixt Prader. „Du bist doch der Kriminaler!“
Hagen stößt ihn an. „Jetzt red schon!“
„Ich kenne sie auch nicht wirklich. Hab sie nur einmal in der Kunsttherapie erlebt. Wie sie da mit der Therapeutin Schlitten gefahren ist – na habe die Ehre! Ist dir aufgefallen, dass sie praktisch akzentfrei spricht? Absolut steril, ihre Sprache, und das bei einer Berlinerin. Gibt sich wie die reine Ratio, sadistischerweise in einen Luxuskörper verpackt. Auf den zweiten Blick kommt sie mir eher vor wie … wie ein Isolani.“
„Ein was?“
„Du weißt schon: der vereinzelte Bauer im Schach, dessen Nachbarn bereits geschlagen sind. Eine zweischneidige Angelegenheit! Einerseits muss der Isolani gedeckt werden und bindet dadurch Kräfte. Andererseits kann man einen im Zentrum stehenden isolierten Bauern auch zum Stützpunkt für seine Figuren machen, speziell beim isolierten Damenbauern.“
„Sorry, aber das ist mir zu hoch.“
„Einfach gesagt: Die Frau kommt mir gefährlich vor. Eine wandelnde Bombe mit Wackelkontakt.“
Sie werden unterbrochen, denn der Wirt hat sich breitbeinig vor ihrem Tisch aufgebaut. Sein feistes Gesicht ist röter als vom Arzt erlaubt. Tausend feine Äderchen marmorieren seine Wangen, und der bläuliche Grundton seiner Nasenspitze lässt vermuten, dass er sie mit großer Regelmäßigkeit ins Weinglas zu versenken pflegt. „I bin der Sepp“, stellt er sich ohne Umschweife vor, „was kann ich euch bringen?“
Eine Speisekarte gibt es nicht. Gegessen wird ohnehin, was der Wirt empfiehlt, das kapiert hier ein jeder ganz schnell. Falls doch nicht, wird man vermutlich nicht einmal bedient. Sie einigen sich auf ein Bierchen zum Einstieg, dazu passend bestellen beide den von Sepp angepriesenen Schweinebraten in Dunkelbiersoße mit Semmelknödel und Kraut. Die Alternative – Kutteln auf oberschwäbische Art – will weder der Wiener noch der Vorarlberger riskieren.
Während er sich die erste Zigarette anzündet, fragt Hagen Prader, wie die nachmittägliche Tanztherapie gewesen sei. „Schlecht“, antwortet Prader, „es ist mir viel zu gut gegangen dabei. Ich vertrage es nicht, wenn die Befindlichkeit von Körper und Geist zu weit auseinanderklafft.“
Hagen schüttelt lachend den Kopf. „Ich würde sagen, gemäß deiner eigenen Definition bist du auch ein Isolani. Und ein reichlich kauziger dazu! Wenn man deswegen etwas ablehnt, weil es einem gut geht dabei …“
„Alles eine Frage der Stimmigkeit“, grummelt Prader. „Vielleicht gehöre ich diesbezüglich ja zu den letzten Mohikanern. Aber wenn das Leben schon keinem
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