Duenne Haut - Kriminalroman
vorgestern. Einen Film frei zu erfinden, nur, um nicht mit der Wahrheit herausrücken zu müssen – eine hübsche Kompensationsleistung! Bringt man euch das bei der Polizei bei?“
„Indirekt. Mitunter kann man ja auch von Ganoven etwas lernen. Aber wieso hast du mich gleich durchschaut?“
„Ganz einfach: Ich kenne alle Wenders-Filme. Ein Seemann in Kombination mit Nonne ist nicht darunter. Aber ich muss sagen: Der Plot klang sehr überzeugend.“
„Hat nur nicht viel gebracht. Die Mickl hat mich trotzdem aufgemacht wie ein Dosenöffner.“
„Dabei hast du als Neuling noch Welpenschutz genossen. Ja, die Dame ist nicht zu unterschätzen.“
Sie stoßen mit Glas und Pappbecher an, als wollten sie der Therapeutin in Abwesenheit zuprosten. Ein bisschen von Hagens schwarzer Brühe schwappt dabei über.
„Du trinkst doch nicht etwa dieses Zeug aus dem Kaffeeautomaten?“ Prader gibt sich entsetzt.
„Doch, wieso nicht? Schmeckt auch nicht übler als der bei uns im LKA. Und außerdem:
Einer
Sucht wenigstens muss man doch die Treue halten. Wenn wir bei Zigaretten und Alk schon auf Entzug sind.“
„LKA und Alk“, grinst Prader. „Ein Schalk, der meinte, die beiden hätten nicht nur dieselben Buchstaben gemeinsam. Aber siehst, das ist jetzt wieder der Vorteil des Assisi-Prinzips: Wenn du selbst damit aufhörst, können sie dir weniger wegnehmen.“
„Trotzdem, ich würde jetzt weiß Gott was für eine Zigarette geben.“
„Ich weiß. Kaffee und Zigaretten. Die pure Konditionierung.“
„Wie auch immer“, seufzt Hagen, „ich muss einfach wieder mal raus hier. Langsam krieg’ ich einen ausgewachsenen Lagerkoller. Warst du schon einmal in der Schlossschenke droben bei der Kreuzung?“
Prader nickt. „Gutbürgerliche Küche, ordentliches Bier und komplett rauchfrei, wie alle Restaurants hier. Nur zwei Kilometer weiter, drüben im bayrischen Trauching, darf dagegen noch geschlotet werden. Betonung auf noch. Weil bald wird es auch dort damit vorbei sein. Auf jeden Fall kommt es deswegen zu einem regelrechten Kurzstreckentourismus: Die Nichtraucher meiden die bayrischen Schenken, dafür flüchten die Raucher aus Baden-Württemberg.“
„Dann auf nach Trauching! Ich hab die klinische Stimmung hier satt. Hast du Lust mitzukommen? Nach achtzehn Uhr steht heute ja wohl nichts mehr auf dem Programm. Wenn man vom Heimatabend mit dem Eisenharzer Trachtenverein einmal absieht.“
„Gerne.“
„Ich meine, wenn Dich der Rauch stört, können wir auch woanders hin. Ist ja vielleicht ein bisschen masochistisch für einen Exraucher, in einer stinkenden Wirtsstube zu hocken.“
„Kein Problem“, winkt Prader ab, „wirklich nicht. Hast du Jim Jarmuschs
Coffee and Cigarettes
gesehen?“
Hagen kann sich vage daran erinnern.
„Der Film ist bei uns in die Kinos gekommen, als ich noch keine Woche clean war. Nach siebzehn Jahren Rauchen! Ich hab ihn mir gleich dreimal hintereinander angeschaut. Und das hatte überhaupt nichts Masochistisches an sich. Eher würde ich es eine Meditation nennen, eine cineastische Parallelaktion. Zu dem, was ich loswerden wollte. Benigni und Waits und all die anderen herrlichen Vögel: Sie haben für mich mitgeraucht, verstehst du? Ich bin Jarmusch wirklich dankbar dafür. Abgesehen davon, dass alleine schon die letzte Szene ihm Unsterblichkeit garantieren sollte.“
„Hilf mir: Worum ging es da gleich?“
„Zwei müde, alte Männer in der zehnminütigen Arbeitspause, irgendwo in einem amerikanischen Lagerraum. Sie reden sich ein, dass der ekelhafte Kaffee in ihren Pappbechern Champagner ist, ein prickelndes
savoir de vivre
. Man stößt an auf das Paris der Zwanzigerjahre, auf Josephine Baker, auf das Moulin Rouge.
Délicieux
, sagt Bill, der mit dem Pferdegesicht.
Ah, Champagne, nectar of the gods
, sagt Taylor, und für einen Augenblick straffen sich seine hängenden Lider. Ich habe Tränen dabei zerdrückt. Tränen des Glücks!“
„Ja, jetzt erinnere ich mich. Danach schläft der eine ein.“
„Genau. Zwei Minuten hat er noch für sein Schläfchen, dann ist die Kaffeepause schon wieder zu Ende. Die Zeit der Träume, des Erinnerns. Wie Bill neben Taylor hocken bleibt, als wolle er ihn bewachen … Das schönste Bild der Freundschaft, das ich je gesehen habe.“
Schweigend genießen sie die Erinnerung. Fast wie die beiden Alten im Film, denkt Hagen. Vielleicht sollte man öfter solche Filme ansehen. Vielleicht würde einem das helfen, gewisse Bilder zu löschen, die die
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