Duenne Haut - Kriminalroman
kriagt a Kind! – Des is ihr Sach!, brummt der Bauer. – Aber d’Leut red’n, dass’ von dir is! – Des is mei Sach!, sagt er. – Ja, wenn des so is, heult sie, nacha geh i ins Wasser! – Des is dei Sach!
Als die Bulldozer erstmals ein Stück intonierten, zu dem zur Not ein Cha-Cha-Cha passte, riss sie die Initiative an sich. Ohne dass der Conférencier eine Damenwahl angesagt hätte, forderte sie Westhäußer zum Tanz auf. Guido machte seine Sache tadellos. Er führte gekonnt, bewegte sich elegant. Sie fühlte sich wohl in seinen Armen. Ein schönes Paar, mag manch stiller Beobachter sich gedacht haben. Das gewellte, dunkle Haar des Arztes, sein gepflegtes Kinnbärtchen, die breite Schulterpartie unter dem perfekt sitzenden schwarzen Jackett; als Kontrast die Wespentaille der jungen Therapeutin, drapiert mit einem seidenen Hüfttuch, und eine Perlenkette, die beschwingt in ihrem Brustansatz hin und her pendelte, vielversprechend für jeden Mann. Für jeden? Nun, über das Attribut
tadellos
war seine Performance nicht hinausgegangen. Auf seiner Seite fehlte jenes Kribbeln, das sie längst verspürte. Aber vielleicht waren vier Minuten dafür auch etwas wenig. Sie nestelte kokett an ihren Locken herum und setzte ihr herzigstes Lächeln auf. Wieder brach eine Polka über sie herein. Sorry, aber dazu kann ich nicht tanzen, entschuldigte er sich schnell. Bedankte sich artig dafür, erwählt worden zu sein, während er sich anschickte, sie zu ihrem Stuhl zurückzubringen. Auch sie hatte keine Ahnung, welche Schrittfolge eine Polka verlangte, aber trotz der miserablen Musik hätte sie nichts dagegen gehabt, sich in seinen Armen zu drehen und wild herumgewirbelt zu werden. Schwindlig zu werden, schwindlig und dahinschmelzend. Stattdessen musste er plötzlich diese Grenze ziehen, wie mit einem scharfen Lineal, mit dem der Lehrer einem auf die Finger klopft. Und ihr fiel nichts ein, mit dem sie ihn auf der Tanzfläche hätte halten können, absolut nichts. Wie so etwas geht, hatte man ihr in Hawangen, trotz der eintausendzweihundertjährigen Geschichte ihres schwäbischen Heimatdorfs, einfach nicht beigebracht, und auch später nicht beim Studium in Ulm. Wo lernt man eigentlich die wichtigen Dinge des Lebens?, dachte sie, während sie sich mangels eines Gentlemans selbst vom Nonnenhorner Sonnenbichl nachschenkte, einem Blauen Spätburgunder. Nicht übel, aber doch nur ein billiger Ersatz.
Im Verlauf des Abends wurde das Ersatzmittel zur Dauerlösung, wurde der Schwips zum Rausch und der Rausch zu einem Orkan im Hinterkopf, der sie jegliche Kontrolle verlieren ließ. Westhäußer war längst gegangen, als ein anderer sich um sie zu kümmern begann. Endlich einer, einer besser als keiner, das hatte sie wohl gedacht. Solange sie noch denken konnte. Der sie in den Mercedes packte und unter dem Vorwand, wegen des Feiertags noch etwas aus dem Büro holen zu müssen, in sein Reich hinaufschleppte. In den zweiten Stock des Zentralgebäudes. Auf seine Station, die auch ihre war.
Auf dem Perserteppich nahm er sie von hinten, wie ein Stier.
Die geknüpften Muster unter sich würde sie nie mehr aus dem Kopf bekommen. Nicht in tausend Jahren.
Kleine geile Sau
.
Das und Schlimmeres hatte er gestöhnt.
Eigentlich war sie da schon wieder nüchtern gewesen. Halbwegs wenigstens.
Aber es hatte nichts genützt …
Wie nennt man das, wenn der Chef so etwas mit dir macht? Schwere Nötigung, sexueller Übergriff, Ausbeutung, Missbrauch? Oder schlicht und einfach Vergewaltigung? Frau benennt es gar nicht, schon gar nicht öffentlich. Lässt alles schön zugedeckt. Weil sie weiß, wie wenig sie gegen ihn in der Hand haben würde. So betrunken, wie sie war. So freiwillig, wie sie in sein Auto gestiegen war, was wohl einige Kollegen mitbekommen hatten, ohne sie jemals darauf anzusprechen. Ein Chefarzt wird seine Mitarbeiterin wohl noch nach Hause fahren dürfen. Selber schuld, wer Arges dabei denkt …
Wirklich eigenartig ist nur, dass es diese Borderlinerin, diese Grenzgängerin, gebraucht hat, damit sich die zwei Jahre alte Geschichte wieder in den Vordergrund drängt. Weil es auch bei einer gewissen Sigrid Bayer um eine Grenze geht, die in dieser Nacht überschritten wurde? Sie fragt sich, wie sie, die großartige Kunst- und Gestaltungstherapeutin, ihr Leben seither eigentlich gestaltet hat. Beziehungsmäßig, sexmäßig. O ja, frau wünscht sich nach wie vor Kinder. Gewiss, frau wäre jetzt im besten Alter dafür. Und frau, das
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