Duerers Haende
gestreckten Fensterfronten, eine zeigte auf die Donaustraße, die andere auf das rückwärtige Areal des Frey’schen Anwesens. Dieser hintere Bereich des Raums schien das Wohnzimmer des Juniorchefs zu sein. Parkettboden, schwarzes Ledersofa, davor ein Glastisch mit halb gefüllten Wassergläsern, ein silbrig glänzender Hi-Fi-Turm plus Heimkinoanlage mit acht ebenfalls in Silber schimmernden Lautsprechern, an der Wand ein ausladender Flachbildschirm auf Stand-by-Betrieb. Ganz anders der vordere Teil, in dem eine unterkühlte, kahle Zweckmäßigkeit vorherrschte. Grauer Stahlschreibtisch, darauf ein aufgeklappter schwarzer Laptop, eine graue Schrankwand, die zur Hälfte leer stand und an deren Ende zwei Klappstühle lehnten. Das war alles. Joachim Frey schloss die Tür zu seinen Privatgemächern und setzte sich hinter den Schreibtisch.
»Dürfen auch wir Platz nehmen?«, fragte Paula Steiner betont freundlich.
»Nö. Es wird ja nicht lange dauern. Außerdem weiß ich gar nicht, was es da noch zu fragen gibt. Ich hab schon alles gesagt, was zu sagen ist. Mehr ist nicht drin. Da können Sie fragen, bis Sie schwarz werden.«
Seltsamerweise amüsierte sie das flegelhafte Benehmen des Juniorchefs. So sehr, dass sie kurz auflachen musste. Was für ein widerwärtiger Kotzbrocken! Erstaunlich, wie jemand mit solchen Manieren heutzutage Geschäftsführer einer mittelständischen Firma sein konnte. Gedankenverloren sah sie aus dem Fenster und bemerkte, wie soeben ein silbergrauer Flitzer mit Karacho die menschenverlassene Donaustraße entlangschoss.
»Ich darf doch?«, fragte sie. Sie ging hinter seinen Drehstuhl, der so weit nach oben geschraubt war, dass Frey wie auf einem Thron saß, griff nach den beiden Klappstühlen, reichte einen an Heinrich weiter und stellte ihren direkt vor den Schreibtisch. Dann musterte sie Joachim Frey lang und lächelnd. Er erwiderte ihr breites Lächeln stoisch mit abweisendem Blick.
»So, Herr Frey, das ist ja jetzt richtig gemütlich bei Ihnen. Fehlen eigentlich bloß noch eine gute Tasse Kaffee und ein paar Kekse. Am liebsten wäre mir persönlich ein Cappuccino, aber heiß muss er sein, und ein paar von diesen wunderbaren Mini-Florentinern, die es mittlerweile in jeder Gebäckmischung gibt. Damit können Sie wohl nicht dienen? Nicht? Na ja, das wäre ja auch zu viel verlangt. Haben Sie denn Ihren Lastwagen wieder?«
Keine Reaktion.
»Aber ich gehe davon aus, dass ja. Denn sonst hätten Sie sich doch schon bei mir gemeldet und beschwert, gell? Und wie sieht es mit einem Nachfolger für Herrn Shengali aus?«
Wieder keine Reaktion.
»Ach, jetzt hatte ich doch tatsächlich vergessen, Sie als Mann von Welt, der weiß, was sich gehört, warten natürlich die entsprechende Trauerzeit um Ihren Mitarbeiter ab, der noch nicht einmal unter der Erde ist. Sie schalten nicht einfach pietätlos eine Woche später eine Anzeige. Mein Fehler, Sie derart falsch einzuschätzen. Verzeihen Sie mir.«
Sie hörte den leisen Klingelton eines Handys, das weit weg zu liegen schien.
»Möchten Sie den Anruf nicht entgegennehmen?«
Als Antwort erhielt sie nur diesen völlig ausdruckslosen Blick.
»Nicht? Gut. Dann können wir unsere reizende Plauderei ja fortsetzen. Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, bei den Eingliederungszuschüssen, die Sie für Shengali und Ostapenko von der Agentur für Arbeit kassiert haben.«
Befriedigt registrierte sie, wie Freys Augenlider erstaunt in Richtung Stirn schnellten. Er verschränkte die Arme vor der schwarzgrauen T-Shirt-Brust.
»Vierundzwanzigtausend Euro auf einen Schlag. Ein hübsches Geschenk von Vater Staat, oder?«
Da sie von ihrem Gegenüber keine Antwort, weder eine verbale noch eine nonverbale, erhielt, beantwortete sie sich ihre Frage selbst. »Das finden Sie nicht? Ich finde, schon. Und das Allerbeste dabei ist, dass dieses Geschenk demnächst wieder fällig wird. Wenn Sie nämlich einen Nachfolger für Shengali gefunden haben. Nur entsprechend langzeitarbeitslos muss er sein oder schwer vermittelbar. Aber wem sage ich das? Das wissen Sie als ausgebuffter erfolgreicher Geschäftsführer sicher besser als ich.«
Sie setzte ihr reizendstes Lächeln auf, zu dem sie in diesem Moment fähig war, und fuhr fort: »Jetzt zu einem anderen Thema. Uns liegen Zeugenaussagen vor, wonach Sie Herrn Shengali kündigen und ihn erst nach einer langen Weile wieder weiterbeschäftigen wollten. Warum? Mangelte es an der Zuverlässigkeit, der Motivation, hat er Überstunden
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