Duerers Haende
kostenpflichtigen Parkplatz am Südausgang des Hauptbahnhofs ab. Kramers Agentur im Frauentorgraben lag nur einen Steinwurf davon entfernt. Sie mussten nicht klingeln, die Haustür stand offen. Das Firmenschild neben dem Lift informierte sie, dass die private Arbeitsvermittlung im obersten Stockwerk des Gebäudes logierte.
Hier nun drückte sie auf den Klingelknopf, ein-, zweimal – nichts. Ein drittes Mal, nun wesentlich beherzter und kraftvoller – wieder nichts. Schließlich hämmerte sie mit Vehemenz auf die Metalltür. Da endlich wurde sie geöffnet, und eine junge Frau von höchstens zwanzig, zweiundzwanzig mit leuchtend orangerot gefärbtem Haar fragte sie vorwurfsvoll: »Was ist denn?«
»Es ist, dass wir Herrn Kramer sprechen wollen.« Sie zog ihren Ausweis aus der Handtasche und hielt ihn der Türöffnerin entgegen.
»Herr Kramer ist beschäftigt. Den können Sie jetzt nicht sprechen. Kommen Sie rein, ich geb Ihnen einen Termin.«
Sie folgten der jungen Frau an den Tresen. Als die Kommissarin eine Sitzgruppe sah, ging sie darauf zu und nahm auf einem der weichen braunen Ledersessel Platz. Sie winkte Heinrich zu sich und rief laut Richtung Tresen: »Bemühen Sie sich nicht, wir warten gerne hier, bis Herr Kramer Zeit hat für die Kriminalpolizei von der Mordkommission.«
Daraufhin verschwand Mademoiselle Orange in einem der hinteren Räume. Als sie wiederkam, wurde sie von einem mittelgroßen Mann in einem gut sitzenden und sicher teuren Anzug begleitet.
»Karsten Kramer«, sagte der Mann und lächelte.
Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. »Paula Steiner. Und das ist Heinrich Bartels, mein Kollege. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie ein wenig Zeit für uns erübrigen können.«
»Wir müssen alle helfen, wenn die Polizei ruft.«
Eine Plattitüde, für die er eigentlich zu jung war. Aber er hat, dachte sie, eine angenehme Stimme. Kramer trug schwarze, auf Hochglanz polierte Schuhe, ein anthrazitfarbenes T-Shirt von ausgesuchter Qualität unter dem hellgrauen Sakko und hatte hellblondes, glattes, kinnlanges Haar, das auf der Seite gescheitelt war und das er jetzt mit einer weichen Kopfbewegung nach hinten schüttelte. Blaue Augen, dezente Bräune, schmales Gesicht. Ihr erster Eindruck war, dass dieser Mann mit allem Perfektion ausstrahlte, durch seine Kleidung ebenso wie durch seine Art sich zu bewegen und zu sprechen.
»Gehen wir doch in mein Büro, da können wir ungestört reden. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Frau Steiner, Herr Bartels?«
Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, war ihr, als würde sie schlagartig in eine andere Welt und eine andere Zeit versetzt werden. In die Zeit des britischen Kolonialismus. Ein weinroter Laptop und die hellgrauen Fensterrahmen aus Metall waren die einzigen Hinweise darauf, dass sie sich in der Neuzeit befanden. Alles andere in diesem Raum war aus altem Teakholz oder Mahagoni vor vielen, vielen Jahren von Hand gefertigt – der breite Schreibtisch mit seinen Messingknöpfen und der ahornbraunen Filzeinlage, die rotbraun glänzenden Stühle, die zwei niedrigen Regale und der zwölffächrige Locker. Damit harmonierten die in Wischtechnik taubenblau gestrichenen Wände und die Decke in Königsblau, von der ein riesengroßer Ventilator hing – ebenfalls eine Antiquität aus goldgelb schimmerndem Messing.
Es war vor allem diese Farbenkombination aus sattem Blau und warmem Rotbraun, die sie einlullte und beruhigte. Ihr die Kampfeslust und Forschheit nahm, die sie bisher an den Tag gelegt hatte. Heinrich dagegen schien immun gegen die besänftigende Wirkung dieses kalkulierten Farbenarrangements zu sein. Er fragte: »Herr Kramer, wissen Sie schon, dass Abdulaziz Shengali ermordet wurde?«
»Ja. Herr Frey hat es mir gesagt. Eine furchtbare Geschichte. Ich hatte einen besonderen Konnex zu ihm. Wie ich hörte, hat oder hatte Herr Shengali auch Familie. Schlimm ist das. Für uns alle.«
»Ist Ihr Kontakt zu Herrn Frey so eng oder gar persönlicher Natur, dass er Sie auch über solche Sachen, die ja außerhalb der rein geschäftlichen Seite liegen, informiert?«, fragte Heinrich weiter.
»Als eng oder gar persönlich würde ich das Verhältnis zu Herrn Frey nicht bezeichnen. Schon eher als sehr gut. Aber in dem Fall hat das rein Geschäftliche den Ausschlag für diese Information gegeben – Herr Frey sucht Ersatz für seinen auf diese schreckliche Weise ums Leben gekommenen Fahrer. Da hat er sich an mich beziehungsweise an unsere Agentur
Weitere Kostenlose Bücher