Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
tausendmal miteinander besprochen. Du hast selbst gesagt, dass der Kerl ein Idiot ist. Er wird sich nie ändern. Menschen ändern sich nicht.«
Nadja setzte sich mit einem Stöhnen auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
Oxana erschrak. Wie alt ihre Freundin aussah! Sie hatte dunkle Augenränder, und die Falten um ihren Mund hatten sich vertieft. Ihre Haut wirkte so, als wäre sie für eine größere, dickere Frau gemacht.
»Du verstehst das nicht, Ksjuscha«, wiederholte Nadja müde.
»Und ob ich das verstehe! Ich bin hier, damit du nicht in deinem jämmerlichen Selbstmitleid ertrinkst. Zieh dich an und komm mit! Du kannst mir alles bei einem Teller Soljanka erzählen.«
»Du bist wie meine Mutter, Oxana. Nichts hilft bei Liebeskummer so gut wie eine anständige Mahlzeit, nicht wahr? Weißt du, dass meine Mutter mit vierzig so rund war wie ein Fass?«
»Ja und? Du bist auch schon vierzig, aber ich sehe kein Fass. Ich sehe eine normalerweise sehr attraktive Frau, die …«
Nadja heulte auf und warf ein Kissen nach ihrer Freundin. Oxana trat einen Schritt zur Seite. »… die nur eine heiße Dusche und einen Satz neuer Klamotten nötig hat. Na ja, vielleicht auch noch einen Besuch beim Friseur.«
Nadja barg ihr Gesicht in den Händen. Der goldbraune Nagellack war abgesplittert. Oxana setzte im Stillen eine Maniküre hinzu. »Das bringt mir Vadim auch nicht zurück«, protestierte Nadja wie ein bockiges Kind.
»Sei froh. Früher oder später landet dieser Mann sowieso im Knast. Lebenslänglich. Komm endlich … Wir haben schon schlimmere Krisen gemeistert.«
»Wie geht es dir überhaupt?«, fragte Nadja zögernd. Sie schniefte und suchte nach einem Taschentuch. »Was bin ich dir für eine Freundin, dass ich über all das vergessen habe, was du gerade durchmachst.«
Oxana reichte ihr ein Papiertaschentuch und half ihr auf. Nadja roch säuerlich, leicht übertüncht von dem Duft eines zu schweren Parfüms. Oxana wandte den Kopf ab. »Die Polizei weiß jetzt, dass Jörg nichts mit den Morden in Düsterbruch zu tun hat. Er ist wieder zu Hause. Stell dir vor, was die rausgefunden haben: Enno von Alsen soll André und Mona Falke ermordet haben.«
»Was? Dein zukünftiger Schwager? Dieser langweilige Viehdoktor?«
»Er ist tot, Nadja. Er hat sich die Fehmarnsundbrücke heruntergestürzt.«
»Eine Brücke runter? Wie scheußlich.« Nadja wankte ins Badezimmer. Oxana beobachtete sie, wie sie achtlos den Morgenmantel auf die Fliesen fallen ließ. Ihr Rücken war glatt, leicht gebräunt, mit einer schmalen Taille und einem wohlgeformten Hintern. Sie hatte die vollkommene weibliche Figur. Es war nur eine Krise … eine der vielen. Ihre Freundin würde über Vadim Droski hinwegkommen. Zumindest, bis er das nächste Mal bei ihr auftauchte.
»Warum hat Enno das getan? Zwei Menschen ermordet.«
»André Falke hat ihn erpresst. Jörg hat mir erzählt, dass er auch erpresst worden ist. Von Mona und ihrem Sohn. Es ging um etwas, das passiert ist, als Jörg und Carola noch Kinder waren.«
»Und womit ist Enno erpresst worden?« Nadja begann, mit ruhigen, gleichmäßigen Strichen ihr Haar zu bürsten.
Oxana zögerte. »Falke hatte Fotos, äußerst kompromittierende Fotos. Und er hat gedroht, sie zu veröffentlichen.«
»Was denn für Fotos, Oxana?«
»Von Tizia. Carola will natürlich nichts Genaueres darüber sagen … Sie ist selbst völlig schockiert.«
Nadja hielt in der Bewegung inne. »Tizia? Schon wieder die!« Sie fuhr herum. Ihr Gesicht war zu einer hasserfüllten Fratze verzerrt. »Vadim hat mich ihretwegen sitzen gelassen! Wegen dieser kleinen Kröte. Tizia von Alsen. Nach allem, was ich für sie getan habe. Mitten im Restaurant hat er mich hocken gelassen und ist mit ihr abgehauen!«
»Du hast uns einen ganz schönen Schreck eingejagt.« Tom saß am Steuer seines Volvo und Pia schräg hinter ihm. Er klang erleichtert, aber auch ein wenig vorwurfsvoll. Er hatte seine Schwester soeben aus dem Krankenhaus abgeholt und lenkte den Wagen nun über die Autobahn in Richtung Lübeck. »Ich soll dich übrigens ganz herzlich von unseren Eltern grüßen, von Marlene und auch von Clarissa. Alle freuen sich, dass ich dich in einem Stück abholen darf.«
Pia war im Krankenhaus in Neustadt aufgewacht und hatte nach ein paar Debatten mit sich selbst ihren Bruder angerufen und ihn gebeten, sie abzuholen. Sie verzieh ihm seinen ironischen Unterton. Es war nicht nett, dass sie die anderen so in Aufregung versetzt
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