Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
hellblondes Haar kitzelte sie an der Wange.
»Na, was soll’s! Wer ist denn ›wir‹?«
»Oh … Mascha. Meine Freundin. Sie studiert auch Medizin.«
»Ich dachte, du wolltest allein was mit Felix unternehmen?«
»Ist doch egal. Mascha mag Kinder«, sagte Hinnerk unbekümmert.
»Willst du nicht einen Moment reinkommen?« Pia fand, die Existenz dieser Mascha erfordere ein bisschen Hintergrundrecherche.
»Würde ich ja. Aber Mascha wartet im Auto auf mich.«
»Bitte sie doch, kurz mit raufzukommen«, sagte Pia. Eine Mascha aus Fleisch und Blut war bestimmt tausendmal leichter zu ertragen als die Vorstellung einer Mascha.
»Geht nicht, wir stehen im Halteverbot.«
»Ach so.« Felix zerrte an Pias Halskette und versuchte, den Anhänger in den Mund zu stecken. »Dann musst du eben anrufen, wenn du Felix mal wieder sehen willst.«
»Können wir nicht was Regelmäßiges ausmachen? Auch mal übers Wochenende oder so? In den nächsten Monaten bin ich wahrscheinlich öfter mal hier.«
»Ach ja?«
»Tu nicht so, Pia. Felix ist auch mein Sohn.«
Das wissen wir noch nicht, dachte Pia und wunderte sich zugleich über die atavistischen Muttergefühle, die sie durchströmten. Mein, mein, mein!
»Ich habe das übrigens testen lassen.« Hinnerks Stimme klang mit einem Mal wie aus weiter Ferne. »Er ist mein Kind. Sorry. Ich hätte das wohl mit dir abstimmen müssen. Aber ich fand es besser – für uns alle –, in diesem Punkt Klarheit zu haben.«
Pia wich einen Schritt zurück, getroffen von dem Vertrauensbruch, der Vorstellung, wie er ihrem Kind mit einem Wattestäbchen im Mund herumhantierte. Getroffen von dem Wissen, dass Hinnerk nun Rechte hatte. Und dass Marten damit in noch weitere Ferne rückte, wenn das überhaupt möglich war.
Als Hinnerk verschwunden war – Mascha wartete sicherlich schon ungeduldig auf ihn –, setzte sich Pia mit Felix ins Wohnzimmer auf den Fußboden. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen den Heizkörper und ließ ihren Sohn, der vergnügt vor sich hin brabbelte, auf ihren Beinen wippen. Sein weiches, blondes Haar schimmerte im Licht. Ganz die Mutter … zumindest das. Hinnerk war Felix’ Vater. Kurz dachte Pia daran, dass sie immer noch zusammen sein könnten, wenn alles anders gelaufen wäre. Aber es war genau so gelaufen. Und das hatte seinen Grund.
Da Felix eben im Auto kurz eingeschlafen war, würde er die nächsten drei Stunden nicht zur Ruhe kommen. Zumindest nicht in seinem Bett. Quengelig würde er werden … Pia rettete einen Kugelschreiber vor dem Zugriff ihres Kindes. Sie hatte keine Zeit, hier zu sitzen und zu grübeln. Sie musste Felix’ Windel wechseln, dann etwas Banane mit Zwieback für ihn zubereiten. Daran hatte Hinnerk, bei aller Vaterliebe, bestimmt nicht gedacht. Hoffentlich waren die Bananen nicht schon zu dunkel! Und hatte sie überhaupt noch genug saubere Sachen zum Anziehen?
Als sie alles erledigt hatte, schienen die Wände ihrer Wohnung auf sie zuzukommen. Von draußen wehten die Geräusche und Stimmen der Stadt zu ihr herein. Ihr Wohnzimmerfenster ging nach Nordosten. Die Sonne würde sie hier drinnen heute nicht mehr sehen. Trotz ihres Kindes fühlte Pia sich plötzlich einsam.
Sie entschloss sich, eine Runde spazieren zu gehen, solange die Sonne noch schien.
Die Backstein-Fassaden der alten Lübecker Häuser leuchteten warm im späten Nachmittagslicht. Der Himmel war strahlend blau, der Wind eisig. Ihre Laune wurde schlagartig besser. Sie ging am Dom entlang und umrundete dann den Mühlen- und den Krähenteich. Das Laub zu ihren Füßen raschelte, und der Wind zerrte an den Zweigen der Bäume und an Pias Haaren. Von der Kälte taten ihr bald Hände und Ohren weh. Spaziergänger, Radfahrer und Jogger kreuzten ihren Weg. Durch die Rüttelbewegung des Buggys auf den unebenen Wegen schlief Felix nach einiger Zeit ein. Pia fand es beruhigend, unter Menschen zu sein, ohne mit ihnen reden zu müssen. Menschen, die sie nicht kannte – wohl niemals kennenlernen würde.
Kurz vor der Rhederbrücke merkte sie, dass sie Hunger bekam, und beschloss, durch die Stadt zurückzugehen und bei einer der zahlreichen Bäckereien etwas zu essen und zu trinken.
Der erste Laden, an dem sie vorbeikam, war gut besucht. Die unverhofften Sonnenstrahlen schienen trotz des eisigen Windes halb Lübeck auf die Straße gelockt zu haben. Es war schwierig, den Buggy so abzustellen, dass er nicht im Weg stand und sie Felix dennoch im Blick behalten konnte, während sie am Tresen
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