Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
in letzter Zeit spürbar entspannter geworden. Tom und Marlene hatten selbst zwei Kinder und ihr schon mehrmals angeboten, bei passender Gelegenheit mal auf Felix aufzupassen. Doch es fiel Pia schwer, um Hilfe zu bitten. Gabler wäre der Letzte, der darauf bestehen würde, dass sie in ihrer jetzigen Situation auch am Wochenende arbeitete. Doch sie wollte keine Extrawürste, denn letzten Endes, so vermutete sie, würde es doch auf sie zurückfallen, wenn sie nicht dabei war.
Sie zog Jeans und einen dünnen Rollkragenpullover an. Eines der letzten brauchbaren Teile in ihrem Kleiderschrank. Wenn sie nicht bald wusch, würde es eng werden.
Es war zwanzig vor acht, als Pia ihren Sohn in der Autositzschale festschnallte und mitsamt einer prall gefüllten Wickeltasche die Treppe herunterschleppte. Beim Runtertragen bekam Felix einen verdächtig konzentrierten Gesichtsausdruck, und als sie unten angekommen waren, roch Pia, dass die eben noch taufrische Windel nun randvoll war. Ein brauner Fleck zeichnete sich auf seiner Hose ab. Also wieder hoch, wickeln, frische Sachen anziehen, noch mal runtertragen. Den vollen Windeleimer, der schon erbärmlich stank, bekam sie auf ihrem Weg hinunter beim besten Willen nicht mehr mit.
Als sie zum zweiten Mal unten im Hof stand, erinnerte Pia sich im ersten Moment nicht mehr, wo sie am Abend zuvor ihr Auto geparkt hatte. Es war nun zehn Minuten vor acht. Sie rief Broders an und teilte ihm mit, dass sie es bis um acht Uhr nicht mehr schaffen würde. Nichts war ärgerlicher, als wenn zehn Kollegen auf den elften warteten, der zu spät kam. Zum Glück waren die Straßen frei, und sie fand in der Adlerstraße vor Toms Haus einen Parkplatz.
Ihr Bruder stand mit nassen Haaren und im Morgenmantel in der Küche und bereitete das Frühstück vor. Es roch nach frischen Brötchen. »Da bist du ja, Pia. Frühstückst du noch mit uns?«
»Keine Zeit, Tom – leider.«
»Nun hol erst mal tief Luft, zieh einen Moment deine Jacke aus und setz dich hin.«
»Ich muss gleich wieder los.«
»Du siehst müde aus.«
»Ich habe zu wenig geschlafen.«
»Das geht irgendwann vorbei. Clarissa ist inzwischen Langschläfer geworden, und den Kleinen bestechen wir sonntagmorgens manchmal mit Benjamin Blümchen .«
»Ihr müsst ein bisschen aufpassen. Felix bleibt nicht mehr auf der Krabbeldecke liegen. Er rollt sich inzwischen überall hin.«
»Hier ist alles kindersicher, keine Sorge. Hast du bei dir schon die Steckdosen gesichert?«
»Die meisten schon.« Pia seufzte und nahm im Stehen den ihr dargebotenen Becher Kaffee entgegen. »Ich möchte eigentlich umziehen. Je eher, desto besser …«
»Was schwebt dir denn vor?« Tom war Architekt. Er kannte eine Menge Leute aus der Immobilienbranche. In Pia regte sich ein Hoffnungsschimmer.
»Eine Wohnung in Altstadtnähe, gern wieder ein Altbau, zwei bis drei Zimmer, so ab siebzig Quadratmetern. Und nicht zu teuer …«
»Was heißt ›nicht zu teuer‹?«
Pia erklärte ihm, was sie an Miete zahlen konnte. Sie trank einen Schluck Kaffee. Er war gut – doch der Dämpfer folgte auf dem Fuße:
»Was du suchst, gibt es in Lübeck nicht, Pia. Nicht für das Geld«, sagte Tom.
»Du rettest mir den Tag.«
»Ich bin nur ehrlich. Irgendwo musst du Abstriche machen.« Er öffnete die Backofentür und klaubte die Brötchen in den Brotkorb.
»Dann bleibe ich lieber, wo ich bin.«
Er sah sie mitleidig an.
Mit dem Gefühl, sich offenbar in einer hoffnungslosen Lage zu befinden, traf Pia eine halbe Stunde zu spät im Kommissariat ein. Sie schlich sich in den Besprechungsraum und suchte sich einen freien Platz. Die Staatsanwältin war anwesend und kommentierte ihr Zuspätkommen mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie sah sie so merkwürdig an, dass Pia unauffällig an sich herunterschaute. Auf ihrer Brust prangte ein deutlich sichtbarer Fleck, dort, wo Felix einen Löffel seines Frühstücksbreis platziert hatte.
»Gestern wollte dich jemand von der BKI Kiel erreichen. Es klang dringend.« Die Frühbesprechung war zu Ende, und Gabler und Kürschner berieten sich noch, wer von den am Samstag anwesenden Kollegen welche Aufgabe übernehmen sollte. Broders war Pia in ihr Büro gefolgt.
»Und worum ging es dabei?«, fragte sie.
Broders zuckte mit den Schultern. »Hat er nicht gesagt. Ich hab seine Nummer aufgeschrieben. Übrigens … Du hast da was.« Broders deutete mit der Spitze seines Kugelschreibers auf Pias Brust.
»Ich weiß!« Pia verließ den Raum und zog im
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