Düsterbruch - Almstädt, E: Düsterbruch
Brust. Vielleicht sollte sie ihre Jacke gar nicht ausziehen.
»Herr Kuhn telefoniert gerade. Wir haben im Augenblick wahnsinnig viel zu tun. Möchten Sie vielleicht einen Cappuccino oder einen Espresso?«, flötete Angelina, nachdem sie sie in eine Sitzecke mit Designer-Stühlen und Beistelltischen aus Plexiglas geführt hatte. Lessing trat an eines der Fenster und sah über die Trave zur Altstadt hinüber. Es war eine der Postkartenansichten Lübecks.
»Nein, danke, wir möchten nichts«, antwortete Pia. Angelinas Zehn-Zentimeter-Absätze klackten über den Steinfußboden. Sah ja klasse aus. Die Frage war, ob sie in zwanzig Jahren noch auf ihren Füßen laufen konnte … Doch ein echter Trost war der Gedanke nicht. Und da es in der Agentur überheizt und heute sowieso schon alles egal war, zog Pia ihre Jacke doch aus und warf sie über einen der Lederstühle.
In diesem Moment kam Lars Kuhn hinzu. Sein Blick folgte dem zielgenauen Wurf der Jacke und wanderte dann zu Pia und Lessing. Pia hatte Mühe, ihn nach dem gestrigen Tag auf seiner Baustelle wiederzuerkennen. Er trug Jeans und T-Shirt, beides im »used look«, aber unzweifelhaft sauber. Sein Haar war braun, wellig und sah frisch gewaschen aus. Ohne den Staub, der sich am Vortag überall abgesetzt hatte, fielen die Linien um seine Augen und den Mund weniger auf. Sein Gesichtsausdruck aber war so misstrauisch und genervt, wie Pia ihn in Erinnerung hatte. Zumindest zeigte er sich angemessen beeindruckt, als er erfuhr, was Mona Falke widerfahren war. »Wann ist das passiert?«, fragte er.
»Das ist noch unklar.« Außerdem handelte es sich dabei um Täterwissen.
»Können Sie das denn nicht feststellen?« Sein Tonfall war eine Spur von oben herab.
»Wenn Sie stunden- und minutengenau meinen: Bei CSI geht das schon. Warum ist Ihnen das so wichtig, Herr Kuhn?«
»Schon gut.« Er hob beide Hände. »Es würde mich nur interessieren, ob ich nichts ahnend im Haus gearbeitet habe, als Mona Falke nebenan ermordet worden ist.«
»An welchen Tagen und zu welchen Zeiten haben Sie sich in der vergangenen Woche auf Ihrer Baustelle aufgehalten?«
Er starrte sie feindselig an. »Samstag und Sonntag jeweils den ganzen Tag. Von zehn bis abends um sieben, würde ich sagen. Dann noch mal am Dienstagabend. Da ist ein Kundentermin ausgefallen, und ich bin stattdessen um fünf Uhr nach Düsterbruch rübergefahren. Gearbeitet habe ich so bis halb elf.«
»Das war alles?«
Er kniff die Augen zusammen. »Nein. Freitags mache ich manchmal früher Schluss im Büro. Gestern, als Sie bei mir aufgekreuzt sind, war ich so ab zwei Uhr da.«
Pia notierte sich die Zeiten. Der späteste Zeitpunkt, zu dem Mona Falke noch gelebt haben konnte, war, den auf der Leiche gefundenen Maden zufolge, vorläufig auf die Nacht zwischen Dienstag und Mittwoch festgesetzt worden. Am Montagmittag hatte man sie zuletzt lebend gesehen. Das öffnete für das Prüfen von Alibis ein weites Feld. Pia hoffte, dass die Angaben zum Todeszeitpunkt zu einem späteren Zeitpunkt präzisiert werden würden.
Kuhn ging in sein Büro, um seinen Terminkalender zu holen. Er betonte, dass Stella (nicht Angelina), seine Assistentin, seine Termine bestätigen könne. Doch etwas an der Art, wie sie Kuhn angesehen hatte, verleitete Pia zu der Ansicht, dass die Frau für ihren Chef den Eid ablegen würde, dass der Himmel gelb sei.
»Haben Sie am letzten Wochenende oder am Dienstag in Düsterbruch jemanden gesehen, oder ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen, was uns weiterhelfen könnte?«
»Nein. Ich war zu beschäftigt.« Er zögerte kurz. »Dass Mona Falkes Sohn im Knast gewesen ist, wissen Sie bestimmt.«
»Ja, das ist uns bekannt. Hatte er Kontakt zu Ihnen aufgenommen, als er wieder draußen war?«
»Warum sollte er?«, fragte Kuhn bissig. Seine Aversion gegen die Polizei war bemerkenswert. Für einen altgedienten Sympathisanten der APO war er einige Jahre zu jung.
»Zum Beispiel, um den Verkauf der anderen Haushälfte anzuleiern«, schlug Lessing vor.
»Das hätte Mona nicht zugelassen.«
»Also schön. Hatten Sie Kontakt zu ihm oder nicht?«
»Nein.« Er sah Pia durchdringend an. »Aber vielleicht kann ich Ihnen trotzdem helfen.«
»Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.«
»Vor circa vierzehn Tagen – Falke muss gerade wieder draußen gewesen sein –, da habe ich ihn zufällig gesehen.«
Oh, dachte Pia. Jetzt wurde es interessant.
»Ich meine, Falke war nicht der Typ für einen
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