Duestere Verlockung
noch anrufen konnte. Und die Sim-Karte würde ich ja so wieso nicht mehr brauchen. Noch immer kann ich nicht glauben, wie alles gekommen war. Noch gestern Morgen war ich absolut glücklich mit David. Noch gestern Morgen hätte ich niemandem geglaubt der mir erzählt hätte, dass ich am nächsten Tag zurück nach England gehen würde. Freiwillig. Im Leben kommt eben anscheinend immer alles anders, als man denkt. Ich verdränge die Gedanken an David schnell und konzentriere mich auf die Leute um mich herum. Kinder, junge Leute, alte Leute. Jeder scheint nach England zu wollen. Die Schlange bewegt sich schnell und nur wenig später nimmt die Dame hinter dem Schalter bereits meinen Koffer entgegen und drückt mir mein Flugticket in die Hand. „Einen guten Flug wünsche ich Ihnen.“
Nun ist es Zeit, sich endgültig von New York zu verabschieden. Ich stehe vor dem Security Check, bereit, mich und mein Handgepäck durchscannen zu lassen und dann endlich ins Flugzeug einzusteigen und alles hinter mir zu lassen. Ein letztes Mal drehe ich mich um und lasse meinen Blick durch die weitläufige Halle schweifen. Mein letzter Blick auf New Yorker Boden. Wie unglaublich viele Erinnerungen ich doch hier lasse. Ich drehe mich um und setze mich in Bewegung.
„Emily!“
Ein durchdringender Schrei bringt mich zum Stehen bleiben. Erschrocken drehe ich mich um. Von Weitem sehe ich einen Mann in dunklem Anzug auf mich zurennen, ich brauche einen kurzen Augenblick, um ihn zu identifizieren. David!
„Emily, warte!“ Keuchend kommt er jetzt direkt vor mir zum stehen, er muss den ganzen Weg gerannt sein, so ausser Atem ist er. Die Schweissperlen tropfen von seiner Stirn auf sein beiges Hemd.
„Was machst du hier?“ frage ich ihn leise. Ich will nicht noch mehr Aufmerksamkeit erregen.
„Rachel hat mir gesagt, dass du heute nach England fliegst.“
Verdammt, Rachel. Kann sie denn nicht ein einziges Mal ihren Mund halten?
„Bitte Emily, bitte geh nicht. Ich weiss, ich habe dich belogen, von Anfang an. Ich bin nicht stolz darauf. Ich hätte das nie tun dürfen. Aber ich habe mich in dich verliebt. Ich habe eingesehen, was ich vorher für ein Mensch war und dieser Mensch will ich nicht mehr sein.“
Bevor ich etwas sagen kann, greift David in seine Anzugtasche und fischt ein kleines schwarzes Kästchen heraus, das stark nach einem Ringetui aussieht. Verwirrt und geschockt sehe ich ihn an.
„Ich wollte das schon tun, bevor du die Wahrheit herausgefunden hast. Ich gebe zu, für eine Heirat ist es ein bisschen früh, aber es gibt keinen anderen Weg. Ich würde alles tun, damit du hier bleibst. Ich liebe dich, Emily. Glaub mir wenigstens das.“
David geht in die Knie und öffnet das Kästchen. Mich strahlt ein silberner Ring mit einem gigantischen Stein darauf an, der so blau ist wie seine Augen. Wortlos starre ich ihn an. Träume ich? Macht er mir gerade wirklich einen Heiratsantrag? Meint er das wirklich ernst?
„Emily Jones, willst du meine Frau werden?“
Ich kann nicht antworten, ich kann ihn nur anstarren. Nie hätte ich damit gerechnet. Seine Gefühle für mich scheinen also tatsächlich echt zu sein. Er liebt mich. Sonst würde er mir doch keinen Heiratsantrag machen. Oder?
„Würdest du mich das auch fragen, wenn mein Visum nicht bald ablaufen würde?“
„Ich... ich weiss nicht. Um ehrlich zu sein, wahrscheinlich nicht. Aber nicht, weil ich dich nicht liebe, denn das tue ich. Sondern einfach, weil wir dann viel mehr Zeit hätten. Aber diese Zeit haben wir eben nicht.“
In meinem Kopf erscheinen die Bilder meiner Kindheit, wie ich mir als kleines Mädchen meine Hochzeit ausgemalt hatte. In einem weissen wunderschönen Kleid, mit hunderten von Gästen, weissen Tauben, an einem Ort den Van Gogh persönlich gemalt haben könnte. Der Heiratsantrag eben so. Romantisch sollte es sein. Und gerade wird mir fast übel bei dem Gedanken, wegen einem Visum zu heiraten. Liebe hin oder her. Das ist einfach nicht richtig, nicht für mich. Ich will meine Kindheitsfantasien nicht aufgeben, so kitschig und dumm sie auch zu sein schienen. Und all das änderte noch immer nichts an dem Fakt, dass David mich von Anfang an belogen hatte. Selbst wenn er mich liebt- Was, wenn er seine Meinung ändert? Was, wenn er mich wieder belügt? Kann man einen Menschen wirklich ändern? Ich bin mittlerweile alt genug um zu glauben, dass man es nicht kann. Ich kann dieses Risiko nicht
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