Duftspur
einen Schlüssel für den Hungerturm, damit ich sie festhalten kann, solange sie schläft. Sie kommt nicht raus und ihre Probleme können nicht rein. Ich kann weiter arbeiten, ohne sie ständig bewachen zu müssen und jetzt, wo du Bescheid weißt, könntest du auch hin und wieder Richtung Hungerturm schauen.« Nun ist es raus. Bin gespannt, ob er sich mit der Sparversion der Story zufrieden gibt. Ich auch, flüstert Kalle. Der Advokat guckt in die Luft.
»Nein, ich denk ja gar nicht dran. Hast du überhaupt die leiseste Ahnung, was hier abgehen wird die nächsten Tage?« Er will keine Antwort. Jörn saugt den Sauerstoff aus der Luft um mich herum auf und sein Donnergrollen schwillt bedrohlich an.
»Wir sind ausgebucht und ab heute Nachmittag kommen die Händler. Die Mittelalter-Workshopleiter beginnen ihre Vorbereitungen und das Organisationsteam inspiziert die Burg. Am liebsten würde ich euch von hier verbannen. Ich brauche Leute, die jetzt mit anpacken und bedingungslos ihren Mann stehen. Ich kann mich nicht um Resozialisierungsmaßnahmen kümmern. Nicht jetzt, nicht ...« Die letzten Reste des Sauerstoffs verschwinden in Jörns Lungenflügel und er fängt zu stottern an, wobei er stoßweise ausatmet.
»Nein, nicht. Nie mehr. Das ist nicht möglich. Alfons soll mich bloß damit in Ruhe lassen. Alfons! Schon wieder. Ich hätte es ahnen müssen. Wenn ich den zu fassen kriege ...« Beinahe zitternd vor Aufregung will Jörn mich stehen lassen. Doch ich brauche wenigstens den Schlüssel. Du scheinst bei ihm einen Punkt angerührt zu haben, der ihn tief bewegt, meint der Advokat erstaunlich sensibel. Bevor ich etwas sagen kann um Jörn aufzuhalten, dreht dieser sich noch einmal zu mir um.
»Den Schlüssel kannst du haben und du kannst auch telefonieren. Ich rate dir, ruf erst die Polizei an und dann Alfons. Wenn sein Schützling was mit dem Feuer zu tun hat, dann zieh dich warm an ... wäre nicht das erste Mal, dass jemand, der helfen will, selbst auf der Anklagebank landet.« Letzteres sagt er mehr zu sich und im Davongehen. Draußen im Hof steht der Bäckerbürgermeister mit den frischen Brötchen.
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Na, das ist ja nun ordentlich schief gegangen, meint Kalle kopfkratzend. So ein vermaledeiter Mist! Nicht nur, dass ich mit seiner Unterstützung nicht rechnen kann, jetzt weiß er auch noch Bescheid. Ich fühle mich einerseits um hundert Jahre gealtert, andererseits wie ein kleiner, dummer Junge. Kennen Sie so ein Gefühl? Ich werfe mein Bündel in die nächste Ecke. Nun reiß dich mal am Riemen, aha, mein Vater, gleich spricht er noch aus meiner Erinnerung: Du willst doch mal ein Mann werden. An welchem Riemen soll man reißen, fragte ich mich als Kind. Als Jugendlicher kam ich zur Erkenntnis: verdammt, tut das weh. Schluss mit dem Selbstmitleid, appelliert ein Rest Widerstand in mir. Ich werde mein Bestes geben. Jawoll. Ich werde die Göre ausliefern, meinen Job gut machen und weder mich noch sonst jemanden enttäuschen. Wie naiv bist du denn, fragt der Advokat. Er hat recht. Das blaue Biest wird mir auf jeden Fall Ärger machen und mich bei der Polizei anschwärzen. Mit dem Alarmieren der Ordnungshüter hat Jörn auch nicht ganz unrecht. Es muss ja nicht der hiesige Polizeiapparat sein. Auf die Art könnte ich uns – ich sage schon ›uns‹, soweit ist es gekommen – ich könnte dafür sorgen, dass die Mustang-Typen verschwinden. Die Hamburger Polizei sucht sie schließlich. Ein vages Konzept ist besser als kein Konzept. Brötchen ausladen und Schlüssel besorgen. Meine Augenbraue beginnt zu zucken. Das kenne ich doch irgendwoher. Damals war es nur das Augenlid.
Nachdem die Brötchen in der Küche sind, wirft Jörn mir wortlos einen dicken, eisernen Schlüssel hin. Ich schnappe mir eine Flasche Kakao, zwei Brötchen und gehe zum Turm. Luca liegt da und schläft wie ein Engel. Leise stelle ich ihr das Frühstück hin und schließe die Tür von außen ab. Was ist, wenn sie mal muss, fragt Kalle. Irgendwo da drin war doch ein Eimer, soll sie den nehmen. Eilig renne ich zur Küche zurück. Warum rennst du denn immer, will der Advokat wissen. Ich kann mir Kurt nicht auch noch zum Gegner machen. Schließlich ist mit Jörns Wohlwollen mir gegenüber nicht mehr zu rechnen. Als ich leicht aus der Puste oben ankomme, rumort Kurt bereits in der Küche. Er gießt Säfte und Milch in Karaffen.
»Na, auch schon aus der Koje?«, begrüßt er mich fröhlich. Ob er Glück gehabt hat bei der Elfe? Ich
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