Duftspur
Stück weit besser wie vor unserem letzten Gespräch«, äfft sie näselnd. Luca ist immer noch in Fahrt, agiert zu emotional, würde ein Pädagoge jetzt vielleicht dazu sagen.
»Nur weil man sein Gegenüber nicht mehr verprügelt, sondern nur noch Arschloch schimpft. Die Sozpäds ticken doch selbst nicht mehr sauber.« Sie zieht die Beine ganz nah an ihren Körper und fängt an, leicht vor und zurück zu wippen. Vor und zurück, immer schneller.
»Und Alfons?«, versuche ich, ihn wieder ins Spiel zu bringen. Sie hält kurz inne mit der Körperpendelei, schnieft leicht, legt den Kopf etwas schief und zieht die rechte Schulter hoch. Ihr Körperpendel schlägt erneut aus, doch diesmal im Dreivierteltakt. Hospitalismus, versucht der Advokat flüsternd eine Diagnose.
»Der liebe Alfons. Der ist anders, ein Stück weit wenigstens, ha. Ich hau jetzt ab«, Trauer und Sarkasmus spiegeln sich gleichermaßen in ihrer Stimme. Sie erhebt sich zögernd.
»Nix da«, befehle ich. »Ich übergebe dich morgen an Alfons und der kann dann mit dir zur Polizei marschieren. – Außerdem, wo willst du denn hin? Hast doch selbst gesagt, dass du niemandem mehr vertrauen kannst. Mir kannst du vielleicht einen erzählen, doch den Kerlen aus dem Mustang nicht. Pack das Zeug ein und schlaf jetzt!«
Meine plötzlich sehr bestimmte Art scheint sie zu überzeugen, oder die Angst vor den Verfolgern zusammen mit der Müdigkeit? Morgen um fünf Uhr ist Dienstbeginn. Was heißt morgen? Gleich. Ich schiebe Michaels Pritsche vor die Tür und hau mich hin. Ich brauche einen Schlüssel für den Turm. Abschließen, unbedingt, von außen abschließen, abschießen ... mir brummt das Hirn und Rio Reiser singt: Alles Lüge!
37
Mir wird wieder mal in Erinnerung gerufen, warum vom Morgengrauen die Rede ist. Neuer Tag, mir graut vor dir. Meine Uhr piept verzweifelt. Im Traum saß ich auf einem tickenden Klo. Bis ich merkte, dass es sich nicht um eine Bombe handelte, sondern um meine Uhr, waren mindestens drei Zustände an mir vorbeigezogen. Von Wut über blankes Entsetzen bis zur Erlösung und jetzt, wo ich meine wach zu sein, setzt Panik ein. Ausmachen. Während ich versuche, meine müden Knochen so zu drehen, dass ich mit der einen Hand der anderen Gelenk erreichen kann, um die Uhr zum Schweigen zu bringen, bemerke ich, dass da was drauf liegt, auf meinem Arm. Luca. Herzinfarkt. Bin ich erschrocken. Wann hat sie sich denn zu mir auf die Pritsche gesellt? Tapsend gleiten ihre Finger zu meiner Uhr und sie stellt sie aus. Wie selbstverständlich, als würde sie das nach jedem unfreiwilligen Erwachen auf diese Art tun. Im Grauen des Morgens checke ich unsere Lage. Vollständig bekleidet, vollständig verrußt, Luca dreht ihr Gesicht zu mir ohne die Augen zu öffnen und löffelt sich, ein Bein über mein Bein legend, an mich heran, vollständig verstört setze ich die Inventurliste fort. Jetzt legt sie ihren Arm um meinen Hals, mir wird heiß, vollständig am Leben. Objektiv betrachtet ist das gut. Kloträume jedoch verheißen nichts Gutes. Sie sind noch schlimmer als Zahnausfallträume. Immer wenn ich unter Druck stehe, zeigt mir mein Kopfkino grausige Bilder. Ich sitze auf einer Schüssel und rings um mich die weite Flur. Jeder sieht mich. Um mich herum herrscht geschäftiges Treiben. Ich will mich sputen, doch es hört nicht auf und es ist nie Papier da, keine Rettung. Niemand, der einen Vorhang um mich rum spannt, niemand, der eine Rolle reicht. Ich hasse Kloträume! Hilft alles nix. Ich brauche jemand, der den Vorhang zieht oder die Rolle gibt. Ich brauche jemand, der mir hilft, Luca solange zu schützen, bis sie in sicherer Verwahrung ist. Außerdem brauche ich die Gewissheit, dass beim Hausbrand niemand zu Schaden gekommen ist. Und du brauchst ne Dusche, schnüffelt der Advokat. Vorsichtig entschlüpfe ich der kleinen, blauen Gestalt. Ebenso vorsichtig trage ich das schlafende Mädchen auf die andere Pritsche und decke sie sacht zu.
Ich raffe frische Sachen und muss scharf nachdenken, womit ich die Tür von außen blockieren könnte, damit Luca nicht auf die Idee kommt abzuhauen. Ein Holzkeil wäre gut. Hier im Turm ist es zu dunkel um dergleichen zu finden, wenn man nicht weiß, ob sich das Suchen lohnt. In Gedanken gehe ich den Grillplatz durch, den ich bereits bis in die letzten Winkel kennen lernen durfte. In einer Mauernische lagerte zumindest gestern noch ein Stapel Brennholz. Vielleicht habe ich Glück und finde dort ein passendes
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