Dumm gelaufen: Roman (German Edition)
tatsächlich Frühling in der Luft. Phil, mit nur einem Schuh an, hält mir die Tür auf.
An der ersten roten Ampel greift mein Partner in den Fußraum, zieht sich den verbliebenen Schuh vom Fuß und erntet den erstaunten Blick eines Mannes mit Brötchentüte und Zeitung unter dem Arm, als er ihn aus dem Fenster wirft.
»Die waren mir sowieso zu eng«, sagt er.
Zu eng, so, so. Am Ende bist du, was du bist.
Der Mann mit der Brötchentüte ist inzwischen auf der anderen Straßenseite angekommen, blickt sich noch einmal zu uns um und kneift ungläubig die Augen zusammen. Da sitzt doch tatsächlich ein Erdmännchen auf dem Beifahrersitz, und auf der Rückbank turteln zwei Bonobos miteinander. Ups, ich muss mich korrigieren: »Turteln« ist nicht das richtige Wort. Die sind bereits wieder voll bei der Sache. Die Ampel springt auf Grün, Phil fährt an. Ich winke dem Mann wie einem alten Bekannten, und der ist so perplex, dass er tatsächlich zurückwinkt.
Rufus ist weder im Asservatenraum noch in unserem Headquarter anzutreffen. Bleibt noch die Möglichkeit, dass er mit unserem Speedboot in der Kanalisation unterwegs ist. Das jedoch liegt da, wo es immer liegt. Hm. Seine Kammer? Ebenfalls Fehlanzeige. Und das bedeutet, er muss draußen sein, im Gehege – mit all den anderen liebenswerten Mitgliedern unseres Clans.
Als ich aus dem Osteingang ins Licht trete, weht mich der Geruch von mehrfach aufgewärmtem Filterkaffee an, durchsetzt mit dem Geruch mehrfach gepressten Formfleischs. Das bedeutet, Silvio, unser Pfleger, war da und hat uns unsere tägliche Essensration gebracht. Entwürdigend. Rufus hat mal versucht, uns per Internet Lebendessen kommen zu lassen, aber die Anbieter, die es machen würden, akzeptieren keine geklauten Handy-Prepaidkarten als Zahlungsmittel.
Ich scanne das Gehege. Innerhalb weniger Sekunden habe ich jedes Tier in Sichtweite auf dem Radar. Keine Spezies der Welt kann so gut Ausschau halten wie Erdmännchen. Sagt Rufus. Und kaum ein Erdmännchen kann es so gut wie ich. Sage ich. Leider kann ich nicht verhindern, dass für einen schwachen Moment mein Blick abschweift und sich vom glänzenden Kupferdach des Chinchilla-geheges blenden lässt – in dem sich neuerdings eine peruanische Hasenmaus herumfläzt. Und nicht mehr Elsa, die verschwunden ist und nichts hinterlassen hat als eine klaffende Wunde in meinem Herzen.
»Celiiina«, reißt mich die Stimme meiner Schwester aus den Gedanken, »du bleibst am Rand, hab ich gesagt!«
Oh, es gibt Neuigkeiten: Pfleger Silvio hat uns nicht nur die vermengten Dönerreste aus Kreuzberg und Neukölln ins Gehege gekippt, sondern offenbar auch Wasser in unser neues Becken eingelassen. Drüben, bei den Flamingos, sind zwei Gärtner damit beschäftigt, den Grünstreifen mit frischen Blumen zu bepflanzen. Frühling.
Roxane sitzt auf dem Beckenrand, die Klauen der Hinterbeine im Wasser, und hält ihr Gesicht in die Morgensonne. Sie hat schon wieder oder immer noch den OP -Mundschutz um den Bauch geschnallt, der ihr als Still- BH dient, allerdings hat sie sich das Nackenband über den Kopf gezogen und ihn so weit herabgerollt, dass ihre Brustwarzen gerade so nicht zu sehen sind. Ich könnte ihr natürlich sagen, dass Erdmännchen keine Bräunungsstreifen bekommen, aber es wäre sinnlos. Eine Pflanze wächst nur da, wo sie auch Wurzeln schlagen kann.
»Chantal«, ruft sie jetzt, »das gilt auch für dich!«
Magnus, Mads und Moby aus dem fünften Wurf nehmen gerade das Wasserbecken in Besitz, spielen »schwimmende Puffotter« und bewerfen sich mit Liebesperlen. Und das wollen Roxanes Gören natürlich auch. Nur mit Roxane läuft das nicht. Die Kleinen könnten schließlich ertrinken. Natürlich
würden
sie nicht ertrinken, denn unser Pool ist bestenfalls ein Pinkelbecken. Selbst im Sitzen geht Moby das Wasser gerade mal bis zum Bauchnabel. Auch das könnte ich Roxy erklären. Doch hier gilt ebenfalls: Eine Pflanze wächst nur da, wo sie auch Wurzeln schlagen kann. Momente wie dieser sind es, die mich mit dem Umstand versöhnen, dass Rocky und nicht ich letztes Jahr Pas Nachfolge als Clanchef angetreten hat. Hätte Pa stattdessen mich zu seinem Nachfolger bestimmt, müsste ich mich nämlich jetzt mit unserer Schwester herumschlagen. Danke, Rocky.
Apropos Clanchef: Mein großer Bruder sitzt vorne am Zaun auf einem Haufen Fleischresten und sucht die besten Stücke heraus. Da kann einem bereits vom Zuschauen schlecht werden.
Roxy, die neulich zum ersten
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